Dass Minderheiten in Bosnien-Herzegowina (Bosna i Hercegovina, BiH) keinen guten Stand haben, ist kein Geheimnis. Mit dem Ende des bewaffneten Konfliktes 1995 wurde in BiH eine Konkordanzdemokratie nach der Idee des Politikwissenschaftler Arend Lijphart errichtet (Lijphart 1969: 215). Der Hauptgedanke einer Konkordanzdemokratie ist es den Frieden und die gleichberechtigte Beteiligung der vormaligen Hauptkonfliktparteien in einem post-konflikt Staat zu garantieren (Finlay 2001: 1f; Agarin und McCulloch 2020: 5; Galičić 2017: 99f.). Somit wurde in der im Dayton-Friedensvertrag ausgehandelte Verfassung BiHs sichergestellt, dass Bosnisch-Serben, Bosnisch-Kroaten und Bosniaken gleichberechtigt Einfluss auf das politische System bekommen. Gleichzeitig bedeutet diese Regelung, dass alle Menschen, die sich nicht zu diesen drei konstituierenden Völkern zählen, starken Diskriminierungen ausgesetzt werden (Mujagić und Mujkić 2021: 192; Agarin et al. 2018: 301).

Tatsächlich wurde alleine bisher in zwei Urteilen des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte (Sejdić-Finci vs. BiH, ECtHR, Application no. 27996, 22. 12. 2009; Zornić vs. BiH, ECtHR, Application no. 3681/06, 15.07.2014) festgehalten, dass der Ausschluss von dem dreiköpfigen Präsidium und einer der Parlamentskammern, dem Haus der Völker, gegen die von BiH unterzeichnete europäische Menschrechtskonvention verstößt. Obwohl diese Urteile nun 12 bzw. acht Jahre alt sind, war bisher keine Regierung in BiH in der Lage, die Diskriminierungen der nicht-konstituierenden Bevölkerung zu verringern oder gar abzuschaffen.

Zu der nicht konstituierenden Bevölkerung gehören einerseits die 17 offiziellen Minderheiten. Diese haben einen minimalen Schutz unter dem Gesetz und politische Teilhabe im Rat der Nationalen Minderheiten zugesprochen bekommen (Council of National Minorities in BiH 2021). Andererseits lassen sich Individuen in BiH finden, die weder die Vorteile der Zugehörigkeit zu einem der drei konstituierenden Völker noch den Schutz als offizielle Minderheit genießen: Menschen, die sich als Bosnier*innen, Bosnier und Herzegowiner*innen oder Jugoslaw*innen identifizieren. Diese Menschen haben ihre inhärent Zugehörigkeit zu einer der (konstituierenden, ethno-nationalistischen) Gruppen abgelegt und stattdessen eine staatsbürgerliche Identität angenommen – und sich damit de facto und de jure aus einer menschenrechtlichen Perspektive für eine schlechtere Position in der zivilen und politischen Gesellschaft entschieden (Finlay 2011: 87).

Dieser Artikel basiert auf den Forschungsergebnissen der Autorin, die sich im Zuge ihrer Masterarbeit mit der politischen Partizipation der Bürger*innen BiHs beschäftigt hat, die sich für eine staatsbürgerliche Identität entschieden haben. Auf den folgenden Seiten wird ein kurzer Umriss der geschichtlichen und politischen Begebenheiten präsentiert, die Identifikations- und Partizipationsprozesse in BiH beeinflussen. Im Anschluss wird der wissenschaftliche Status quo zu den sogenannten ‚non-aligned‘ Bürger*innen dargestellt und mit den Ergebnissen der Autorin eigenen qualitativen Forschung verglichen. Abschließend wird ein kurzer Ausblick präsentiert, welchen Einfluss die politische Partizipation von diesen Bürger*innen auf eine post-Konflikt Konkordanzdemokratie haben könnte.

Bosnien und Herzegowina war eine der sechs Republiken der Sozialistischen Föderativen Republik Jugoslawien (SFRJ). Unter dem Motto ‚Bradstvo i Jedinstvo‘ (Brüderlichkeit und Einheit) (Piacentini 2020a: 14) wurde kein Nationalstaat mit einem Staatsvolk geschaffen, sondern die gleichberechtigte Existenz aller großen ethnischen Kollektive anerkannt (Malešević 2006: 169). Aufgrund des favorisierten föderalen Charakters wurde daher weder eine supranationale jugoslawische Identität noch eine staatsbürgerlich-nationale Identität in den Republiken gefördert (Piacentini 2020a: 33). Tatsächlich hatten die Bewohner*innen Jugoslawiens erst bei der Volkszählung 1961 die Möglichkeit, sich als “Jugoslawen – national unbestimmt” zu deklarieren (Piacentini 2020a: 33).

Mit dem Kollaps Jugoslawiens brachen bewaffnete Konflikte in weiten Teilen des ehemaligen Staatengebildes aus – unter anderem in BiH. Die bewaffneten Konflikte, die von 1992 bis 1995 in BiH stattfanden und vermutlich um 100.000 Menschenleben forderten (Martens 2007; United Nations 1995), wurden am 21. November 1995 durch den Dayton Friedensvertrag (Dayton Peace Agreement, DPA) beendet (O’Brien 2010: 332ff.). Durch diesen Friedensvertrag wurden nicht nur die Kampfhandlungen beendet, sondern auch der uns heute bekannte Staat, Bosnien und Herzegowina, geschaffen.

Mit dem vierten Anhang des DPA wurde BiH in einen demokratischen Staat mit zwei Entitäten, der Föderation Bosnien und Herzegowina und der Republik Srspka – und dem Sonderverwaltungsregion Brčko – aufgeteilt (Generalversammlung der Vereinten Nationen 30.11.1995: Anhang 4, Art. I.3; Art. I.7). In diesem Staat fanden sich Bürger*innen nun verfassungsrechtlich entweder in einem der drei konstituierenden Völkern – Bosniaken, Kroaten und Serben – oder einer Restkategorie wieder. Diese Restkategorie, genannt die ‚Anderen‘ (Ostali in den lokalen Sprachen), bildet eine Dachkategorie für jede*n Bürger*in, der*die nicht zu den konstituierenden Völkern gehört (ebd.: Präambel).

Somit wurden die vorherigen Konfliktlinien durch die Verfassung institutionalisiert. Dies führte dazu, dass vor allem ethno-nationale/religiöse Gruppenzugehörigkeiten dominierend für Identität – und Handlungsprozesse der Menschen geworden sind (Tepšić und Džuverović 2018: 31f.). Tatsächlich bemisst das DPA der ethnischen Zugehörigkeit wesentlich mehr Bedeutung bei als der Staatsbürgerschaft. Somit wird die Schaffung einer bürgerlichen, nicht-ethnischen oder nationalstaatlichen Identität in BiH stark behindert (Piacentini 2018: 269, 275f.; Mujkić 2007: 113; Brljavac 2011: 58f.).

Jedoch erleben viele Menschen in BiH die ständige Betonung von Ethnizität/Religion als sehr einschränkend (Touquet 2011: 160). Für sie ist die ethnonationale Zugehörigkeit nicht die einzige Möglichkeit, ihre soziale Realität zu konstituieren (Agarin und McCulloch 2019: 6f.; Agarin, 2020: 15f.). Stattdessen, wie oben bereits angesprochen, gibt es Individuen, die eine nicht-ethnische, nationalstaatliche Identität angenommen haben. In der englischen Fachliteratur werden diese Menschen als ‚non-aligned citizens‘ bezeichnet – angelehnt an den englischen Begriff der Bewegung der Blockfreien Staaten unter Josep Broz Tito (‚non-aligned movement‘). Im deutschen Sprachgebrauch kommt die Bezeichnung als ‚bündnisfreie‘ Bürger*innen der englischen Bedeutung wohl am nächsten – doch aufgrund der eher freien Übersetzung wird hier weiterhin der englische Fachbegriff verwendet. Der Begriff ‚non-aligned citizens‘ wurde von Arianna Piacentini geprägt (Piacentini 2020b). Sie ist bis zu diesem Punkt eine der wenigen Wissenschaftler*in, die das Gespräch mit ‚non-aligned‘ Bürger*innen gesucht hat, um ihre Motivation für einen Identitätswandel nachvollziehen zu können. Piacentinis Forschung zufolge wird diese Form der staatsbürgerlichen Identität vor allem angenommen, um sich den ethnischen Strukturen und Kategorisierungsprozessen entgegenzusetzen und diese möglicherweise sogar zu zerstören (Piacentini 2020b: 1). Den Wunsch, sich außerhalb des ethnischen Systems zu bewegen und sich diesem zusätzlich entgegenzustellen, sah Piacentini in Lebenserfahrungen, verstreuten Familienbanden und antinationalistischen politischen Ansichten begründet (Piacentini 2020b: 8).

Da außer Piacentini bisher kaum ein*e Forscher*in sich mit ‚non-aligned‘ Bürger*innen beschäftigt hat, wollte die Autorin mit ihrer Forschung an diesem Punkt ansetzen. In 18 semi-strukturierten Interviews konnten 19 Individuen zu Wort kommen, weshalb sie sich für die ‚non-aligned‘- Identität entschieden haben und welchen Einfluss diese Entscheidung auf ihr Leben hat. In der Stichprobe fanden sich Individuen von 22 – 40 Jahren, die alle einen höheren Bildungsabschluss erworben haben oder anstreben. 14 der Teilnehmenden leben in BiH, davon haben zehn ihren Lebensmittelpunkt in Sarajewo, der Hauptstadt BiHs. Auf die Frage nach ihrer Selbstidentifikation benannten sich 12 als Bosnier und Herzegowiner*in, vier als Bosnier*in, einer als Jugoslawe und zwei der Individuen als ‚nichts‘. Die Mehrheit der Teilnehmenden verwies auf ihre gebürtige Zugehörigkeit zu einem der konstituierenden Völker.[1] Die gesammelten Daten wurden unter der Zuhilfenahme des Datenverarbeitungprogramms MAXQDA mit der qualitativen Inhaltsanalyse nach Philipp Mayring organisiert und analysiert (Mayring 1994, 2000, 2001, 2014).

In den Daten konnten drei relevante Kategorien festgestellt werden, warum sich Menschen in BiH dafür entscheiden, eine vorteilhafte Gruppenidentität zu verlassen und stattdessen eine individuelle, personale Identität annehmen, die mit potentiellen Diskriminierungen einhergeht. Die Kategorien Ablehnung des Systems, Logik der Umorientierung und emotionale Verbundenheit mit der neuen Identität fanden dabei die größte Resonanz unter den Teilnehmenden. Gerade die Ablehnung des politischen Systems und der inhärenten Kategorisierungen wurde als einer der Hauptgründe aufgeführt, eine andere Identität gewählt zu haben:

“I really have an issue with […] citizens being looked at as only Bošnjaks [local languages for Bosniak], Croats or Serbs. […] [I]f the fight to […] see the society in BiH as a collective of citizens, […] is lost [.] then I also think, the fight for a normal country and a normal society is also lost” (Interview J: 32). (“Ich habe wirklich ein Problem damit, dass […] die Bürger nur als Bošnjaks [lokale Sprachen für Bosniaken], Kroaten oder Serben betrachtet werden. […] Wenn der Kampf, […] die Gesellschaft in Bosnien und Herzegowina als ein Kollektiv von Bürgern zu sehen, […] verloren ist, […] dann denke ich auch, dass der Kampf für ein normales Land und eine normale Gesellschaft ebenfalls verloren ist” (Interview J: 32).

Die Ablehnung des Systems und damit auch der Kategorisierungen in BiH ermöglichte es den Individuen, sich auf die Suche nach einer neuen Identität zu begeben. Diese neue, personale Identität wurde laut der Teilnehmenden durch logische Überlegungen in der ‚non-aligned‘, nationalstaatlichen Identität gefunden, da diese die einzige Möglichkeit bietet, jeder ethno-nationalistischen Kategorisierung zu entgehen. Mit dieser eher logischen Entscheidung paart sich zudem eine emotionale Komponente.

Da ein Identitätswandel nur widerstrebend aufgrund von starken Dissonanzen zwischen verschiedenen Identitätskategorien stattfindet (Burke 2006: 92), ist die positive emotionale Verbundenheit mit der neuen Identitätsform eine Reduktion der vorher erlebten Dissonanzen. Zusätzlich bestärkt wird die Wahl der Identitätsform durch den Umstand, dass die Individuen kaum die zu erwartenden Diskriminierungen spüren. Natürlich sind sich die Teilnehmenden der Diskriminierungen sehr bewusst, jedoch empfinden sie deren Einfluss als marginal. Die Teilnehmenden führten als mögliche Gründe dafür an, dass sie einerseits nicht an politischen Ämtern interessiert seien, wo sie direkte Diskriminierung aufgrund festgelegter Quoten erleben würden. Andererseits hielten sie fest, dass sie auch kaum indirekte Diskriminierungen erleben, da sie immer noch – aufgrund ihres Namens – als Mitglieder ihrer vormaligen ethnischen Gruppe wahrgenommen werden:

“[W]hen they hear my name […] they implied that I am a Bošnijak, they don’t even ask do you feel like a Bošnijak or don’t” (Interview AA: 13; sic!). (“[W]enn sie meinen Namen hören […] implizieren sie, dass ich Bošnijak bin, sie fragen nicht einmal, ob du dich als Bošnijak fühlst oder nicht” (Interview AA: 13; sic!).)

Dass die Individuen nicht als u.a. Bosnier und Herzegowiner*innen wahrgenommen werden, liegt an einem Prozess genannt ‚passing‘ (Renfrow 2004; Ginsberg 1996). Durch ‚passing‘ werden Individuen aufgrund bestimmter Merkmale – sowohl von der in- als auch out-group – einer Gruppe zugeordnet, obwohl sie dieser nicht (mehr) angehören (Renfrow 2004: 489). Auch wenn ‚passing‘ Sanktionen oder negative Konsequenzen reduzieren kann, brachten einige Teilnehmenden zum Ausdruck, dass sie vor allem von ihrer ehemaligen in-group Druck verspüren, sich dem ethnischen System anzupassen:

“[I]f you discuss this […] ‘Other’ thing with colleagues or with people around you, they often ask you ‘How is it possible, you feel like the Other. You should, you are supposed to be a Croat or a Serb” (Interview B: 4). (“Wenn man diese […] Sache mit dem ‘Anderen’ mit Kollegen oder Leuten aus dem Umfeld diskutiert, wird man oft gefragt: ‘Wie ist das möglich, du fühlst dich wie der Andere. Du solltest, du hast ein Kroate oder ein Serbe zu sein” (Interview B: 4).)

Es zeigte sich also, dass ‚non-aligned‘ Bürger*innen vor allem negative Konsequenzen erfahren können, wenn sie ihren Identitätswechsel ihrem Umfeld mitteilen. Darin begründet liegt auch der Umstand, dass die Entscheidung für eine ‚non- aligned‘ Identität eine sehr Individuelle ist. Kaum einer der Teilnehmenden sah einen familiären oder peer-group Einfluss als ausschlaggebend für die Annahme der neuen Identität:

“I never ever felt that I belonged to one of the three […] ethnic categories. Ehm, there was just my core believe from […] my youth and a lot wasn’t even influenced by my parents. They didn’t influence one way or another. They let me choose by looking at the [.] […] sectarian differences and never wanted to belong to any of them, so I chose that category.” (Interview T: 12) (Ich hatte nie das Gefühl, dass ich zu einer der drei […] ethnischen Kategorien gehöre. Ehm, da war einfach mein Kernglaube aus […] meiner Jugend und vieles wurde nicht einmal von meinen Eltern beeinflusst. Sie hatten keinen Einfluss auf die eine oder andere Weise. Sie ließen mich wählen, indem ich mir die […] […] sectarian Unterschiede ansehen konnte und ich nie zu einer von ihnen gehören wollte, also wählte ich diese Kategorie. (Interview T: 12)

Dementsprechend war interessanterweise auch ein heterogener, ethnischer Hintergrund kaum ein Grund, sich für eine ‚non-aligned‘ Identität zu entscheiden. Somit zeigt sich, dass nicht nur in diesem Punkt diese Arbeit wenige Übereinstimmungen mit der von Piacentini betriebenen Forschung aufweist. Auch die anderen von Piacentini gefundenen Gründe für einen Identitätswechsel, wie Lebenserfahrungen und anti-nationalistischen Einstellungen, fanden kaum Resonanz unter den Teilnehmenden. Nichtsdestotrotz konnte Piacentinis Arbeit dahingehend bestätigt werden, dass vor allem die Ablehnung des Systems und der dem System inhärenten Kategorisierungen zu einer Umorientierung und einer neuen Identitätsform geführt hat. Diese Neuorientierung wurde dann durch Logik und emotionale Verbundenheit bestärkt.

Zusätzlich zu der Untersuchung der Gründe, sich für eine ‚non-aligned‘ Identität zu entscheiden, beschäftigte sich die Forschung mit der politischen Partizipation der Studienteilnehmer*innen. Die Forschung wurde mit dem Anspruch unternommen, festzustellen, ob sich die Wahl für eine nationalstaatliche Identität auf die politische Partizipation der entsprechenden Bürger*innen auswirkt. Die hochgradig interessanten Ergebnisse dieser Forschungsrichtung zeigen, dass die Studienteilnehmer*innen exzeptionell politisch aktiv sind. 90 % der Teilnehmenden äußerten, dass sie regelmäßig in Wahlen und Protesten partizipieren. Diese Beteiligungsquote ist vor allem relevant, wenn bedacht wird, dass politische Partizipation in BiH in Wahlen selten die 50 %-Marke übersteigt und unkonventionelle Partizipationsformen noch weniger Beteiligung erfahren (Centralna izborna komisija BiH 2018, 2020). In der Forschung stellte sich heraus, dass sich die Teilnehmenden rein für bürgerliche Belange einsetzen und weder ethno-nationalistische Parteien noch Protestbewegungen unterstützen. Obwohl sie unisono äußerten, dass sie keinerlei politische Wirksamkeit durch ihre Beteiligung erfahren, hindert sie das weiterhin nicht daran, einen Versuch zu unternehmen, ihren Stimmen Gehör zu verschaffen. Es wurde ersichtlich, dass sich die Ablehnung des Systems in der Partizipation und der Identitätswahl gegenseitig bedingen und somit auch die Wahl der Identität als politische Partizipation wahrgenommen werden muss: Die Entscheidung gegen eine Gruppen-, systemstützende Identität in einer Gesellschaft, die von Gruppen, Kategorisierungen und Spaltungen geprägt ist, ist schon für sich alleine eine Form des Protests.

Diese Forschung hat gezeigt, dass es Menschen in BiH gibt, die sich den ethno-nationalistischen Kategorisierungen entziehen wollen und sich sogar auf einer Identitätsebene gegen dieses System stellen. Es konnte dargelegt werden, dass ‚non-aligned‘ Bürger*innen de jure stärkeren Diskriminierungen ausgesetzt sind als die offiziellen Minderheiten, jedoch auch dass de facto diese Diskriminierungen als wenig einschränkend wahrgenommen werden. Gerade mit Blick auf die hohe Beteiligung der ‚non-aligned‘ Bürger*innen für bürgerliche und nicht ethnische Belange stellt sich die Frage, welchen Einfluss diese Bürger*innen auf die Demokratisierungsprozesse in BiH haben könnten. Gerade in den momentanen Zeiten von Sezessionsbestrebungen seitens der politischen Elite der Republika Srpska ist die Notwendigkeit eines nationalstaatlichen Bewusstseins für den Erhalt BiHs als Gesamtstaat nicht zu unterschätzen. Somit ist es von großer Wichtigkeit nachzuvollziehen, welche Rolle ‚non-aligned‘ Bürger*innen spielen können und wollen – nicht nur für Bosnien und Herzegowina, sondern allgemein für alle ethnisch gespalteten post-konflikt Konkordanzdemokratien.

 

Literaturverzeichnis:

Agarin, Timofey; McCulloch, Allison (2020): How power-sharing includes and excludes   non-dominant communities: Introduction to the special issue. In International Political Science Review 41 (1), pp. 3–14. DOI: 10.1177/0192512119873075.

Agarin, Timofey; McCulloch, Allison (2020): How power-sharing includes and excludes   non-dominant communities: Introduction to the special issue. In International Political Science Review 41 (1), pp. 3–14. DOI: 10.1177/0192512119873075.

Agarin, Timofey; McCulloch, Allison; Murtagh, Cera (2018): Others in Deeply Divided Societies: A Research Agenda. In Nationalism and Ethnic Politics 24 (3), pp. 299– 310. DOI: 10.1080/13537113.2018.1489488.

Brljavac, Bedrudin (2011): Institutional Discrimination against the (non) Constituent Communities in Bosnia and Herzegovina: Blocking the Europeanization Process.         In Revista Română de Comunicare şi Relaţii Publice XIII (3), pp. 57–72. Verfügbar unter https://www.ceeol.com/search/article-detail?id=218251.

Burke, Peter J. (2006): Identity Change. In Social Psychology Quarterly 69 (1), pp. 81– 96. Verfügbar unter http://www.jstor.org/stable/20141729.

Centralna izborna komisija BiH (2018): Opći izbori 2018. godine – Potvrđeni rezultati. Centralna izborna komisija BiH. Available online at             http://www.izbori.ba/rezultati_izbora?resId=25&langId=1#/1/0/0/0/0, updated       on             5/27/2021, checked on 5/27/2021.

Centralna izborna komisija BiH (2020): Lokalni izbori – Potvrđeni rezultati. Centralnaizborna komisija BiH. Available online at https://www.izbori.ba/Rezultati_izbora/?resId=27&langId=1#/8/0/0, updated on 5/27/2021, checked on 5/27/2021.

Council of National Minorities in BiH (2021): Council of National Minorities in BiH. Competencies. Verfügbar unter        https://www.parlament.ba/committee/read/36?lang=en, updated on 4/18/2021, checked on 4/18/2021.

Finlay, Andrew (2011): Governing ethnic conflict. Consociationism, identity and the price of peace. London: Routledge (Routledge studies in peace and conflict resolution).

Galičić, Drino (2017): De Jure vs. de Facto Minority Protection in Bosnia and Herzegovina. In Treatises and Documents, Journal for Ethnic Studies 78, pp. 97–117. Verfügbar unter https://www.academia.edu/37727073/De_Jure_vs_de_Facto_Minority_Protection_in_Bosnia_and_Herzegovina.

Ginsberg, Elaine K. (1996): Passing and the fictions of identity. Durham, NC: Duke University Press (New Americanists).

Lijphart, Arend (1969): Consociational Democracy. In World Politics 21 (2), pp. 207–225.

Malešević, Siniša (2006): Identity as ideology. Understanding ethnicity and nationalism. Basingstoke England, New York: Palgrave Macmillan. Verfügbar unter http://site.ebrary.com/lib/alltitles/docDetail.action?docID=10263390.

Martens, Michael (2019): Das bosnische Totenbuch. In Frankfurter Allgemeine Zeitung, 10/12/2019. Verfügbar unter https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/kriegsopfer-das-bosnische-totenbuch-1437993.html.

Mayring, Philipp (1994): Qualitative Inhaltsanalyse. In Andreas Boehm, Andreas Mengel, Thomas Muhr (Eds.): Texte verstehen. Konzepte, Methoden, Werkzeuge, vol. 14. Konstanz: UVK Universitäts Verlag, pp. 159–175. Available         online at https://www.ssoar.info/ssoar/handle/document/1456.

Mayring, Philipp (2000): Qualitative Content Analysis. In Forum: Qualitative Social Research – Sozialforschung 1 (2).

Mayring, Philipp (2001): Integration qualitativer und quantitativer Analyse. In Forum: Qualitative Sozialforschung – Social Research 2 (1).

Mayring, Philipp (2014): Qualitative content analysis: theoretical foundation, basic procedures and software solution. Verfügbar unter https://www.ssoar.info/ssoar/bitstream/handle/document/39517/ssoar-2014-  mayring-qualitative_content_analysis_theoretical_foundation.pdf.

Mujagić, Nermina; Mujkić, Asim (2012): Multiculturalism in the Ideology of Ethno- nationalism. In Milan Podunavac (Ed.): Challenges of multiculturalism. Beograd: Heinrich Böll Foundation, Regional Office for Southeastern Europe, pp. 189–    198

Mujkić, Asim (2007): We, the Citizens of Ethnopolis. In Constellations 14 (1), pp. 112–128. DOI: 10.1111/j.1467-8675.2007.00425.x.

O’Brien, James (2010): The Dayton Constitution of Bosnia and Herzegovina. In Laurel E. Miller, Louis Aucoin (Eds.): Framing the state in times of transition. Case studies in constitution making. Washington, DC: United States Institute of Peace Press, pp. 332–349.

Piacentini, Arianna (2018): The Weight of Ethnic Collectivism: Youth, Identifications, and Boundaries in Post‐conflict Bosnia Herzegovina. In Studies in Ethnicity and Nationalism 18 (3), pp. 262–280. DOI: 10.1111/sena.12282.

Piacentini, Arianna (2020a): Ethnonationality’s Evolution in Bosnia Herzegovina and Macedonia. Cham: Springer International Publishing.

Piacentini, Arianna (2020b): “Nonaligned Citizens”: Ethnic Power-Sharing and Nonethnic Identities in Bosnia Herzegovina. The Case of Sarajevo. In Nationalities   Papers, pp. 1–14. Verfügbar unter https://www.academia.edu/42881000/_Nonaligned_Citizens_Ethnic_Power_Sh aring_and_Nonethnic_Identities_in_Bosnia_Herzegovina_The_Case_of_Sarajevo.

Renfrow, Daniel G. (2004): A Cartography of Passing in Everyday Life. In Symbolic Interaction 27 (4), pp. 485–506. DOI: 10.1525/si.2004.27.4.485.

Tepšić, Goran; Džuverović, Nemanja (2018): Bosnia and Herzegovina. In Hans-Joachim Gießmann, Roger Mac Ginty, Beatrix Austin, Christine Seifert (Hrsg.): The Elgar Companion to Post-Conflict Transition. Cheltenham, UK, Northampton, MA,           USA: Edward Elgar Publishing, pp. 27–48.

Touquet, Heleen (2011): “You have to be something”. Alternative Identifications and Postethnic Mobilization in post-war Bosnia and Herzegovina. In Transitions – From Peace to shared Political Identities – Exploring Pathwas in Contemporary        Bosnia-Herzgovina 51, pp. 153–170.

United Nations General Assembly; United Nations Security Council (1995) Situation in Bosnia and Herzegovina. A/50/79C; S/1995/999. United Nations. New York.

 

[1] Da die ethnische Zugehörigkeit in BiH als eher primordiale Bindung – also als eine angeborene, fixe Charakteristik – wahrgenommen wird, ist eine ‚non-aligned‘ Identität keine Kategorie, in die man hineingeboren wird. Jedoch existiert in BiH ein sehr liberales Identitätsregime: Es bestehen keine Vorgaben, die eine Person davon abhalten, sich als Mitglied einer der konstituierenden Völkern zu identifizieren (Galičić 2017: 100). Somit ist die Annahme einer ‚non-aligned‘ Identität eine sehr bewusste Entscheidung für eine nationalstaatliche, nicht-ethnonationale Identität.


 

Patrizia John ist eine Masterstudentin der “Friedens- und Konfliktforschung” an der Philipps-Universität Marburg, Deutschland. Vor kurzem schloss sie ihre Masterarbeit über Identität und politische Partizipation in Bosnien und Herzegowina ab. Patrizia John lebt seit über zwei Jahren in Sarajewo, Bosnien-Herzegowina und ist dort als Studentin, Forscherin und Freiwilige tätig. Ihren Bachelorabschluss erhielt sie 2018 von der Universität Erfurt in Internationalen Beziehungen und Lehr-/Lern-/Trainingspsychologie. Auf Grund ihrer Tätigkeiten in zivilgesellschaftlichen und internationalen Organisationen verfügt die Autorin über fundiertes Wissen über Prozesse der politischen Bildung, politischen Partizipation und Identitäten. Ihr Interesse für diese Bereiche und gespaltene Gesellschaften möchte Patrizia John ab Oktober 2022 in einer Promotion vertiefen.