Das politische System Ungarns repräsentiert den Übergang vom kommunistischen Regime über weite Strecken des 20. Jahrhunderts bis hin zur Demokratisierung im 21. Jahrhundert. Der Systemwechsel hat Ungarn ebenso wie seine Nachbarstaaten geprägt. Mit dem Fall der Berliner Mauer und der nachfolgenden Liberalisierung mittelost- und osteuropäischer Staaten veränderten sich die politischen Strukturen immens – auch in Ungarn. Das Parlament verfügt über zahlreiche Kompetenzen, wohingegen der Präsident nur einen eingeschränkten Entscheidungsspielraum hat. Im Blickpunkt der Öffentlichkeit ist aber zumeist der Premierminister Viktor Orbán. 

Ungarn ist eine parlamentarische Republik. Das Parlament ist das oberste Staatsorgan und verkörpert die Volkssouveränität[1]. Es übt Legislativ- und Kontrollkompetenzen aus[2]. Als häufig reformiertes politisches Zentrum ungarischer Politik “gestaltet sich [das ungarische Parlament] als Einkammerparlament mit vierjähriger Legislaturperiode”[3]. Aktuell setzt sich das Parlament aus 199 Mandaten zusammen, davon werden 106 Mandate in Einerwahlkreisen nach relativem Mehrheitswahlrecht gewählt und 93 Mandate nach dem Verhältniswahlrecht. Dabei wird nach dem Grabenwahlsystem gewählt, es werden Listen- und Direktmandate auf unterschiedliche Weisen gewählt.

Das ungarische Parteiensystem hat sich grundlegend schon vor dem Systemwechsel herausgebildet. Dabei entstanden drei Parteifamilien: konservative Parteien wie das Ungarische Demokratische Forum (MDF), die Partei der Unabhängigen Kleinlandwirte (FKgP) oder die Christlich-Demokratische Volkspartei (KDNP); liberale Parteien wie der Bund der Freien Demokraten (SZDSZ) und der Bund der Jungen Demokraten (FIDESZ); und nicht zuletzt die Ungarische Sozialistische Partei MSZP als sozialdemokratische Kraft[4]. Dabei wurden die FKgP und die KDNP ein bzw. zwei Jahre vor der Wende wieder gegründet. MDF, SZDSZ sowie FIDESZ wurden 1987 und 1988 neu gegründet. Aus der zuvor aufgelösten MSZMP ging schließlich die MSZP als Nachfolgepartei hervor[5].

Das ungarische Parteiensystem erlebte in den vergangenen Jahrzehnten einen stetigen Wandel. Während 1990 MDF die stärkste Partei war, erlebte das Ungarische Demokratische Forum in den Folgejahren einen rasanten Absturz. Von 1994 bis 2006 war MSZP die vorherrschende Partei, ab 1998 zusammen mit FIDESZ[6]. Der Bund der Jungen Demokraten erreichte 2010 eine Zweidrittelmehrheit im Parlament, und zwar mit konservativer ausgerichtetem Parteiprogramm. Die Oppositionsparteien verloren ab 2010 an Zustimmung im Volk oder lösten sich wie im Falle von MDF sogar auf. Rechts von der Regierung entstand noch 2010 die Oppositionspartei Jobbik. Heute besteht die Regierung Ungarns aus einer Koalition von FIDESZ und KDNP.

Ab 2010 kam es dann zu einem Umbau des politischen Systems: Es wurde eine national ausgerichtete Politik eingeführt, es kam zu einer Verfassungsreform, das Wahlsystem wurde ebenfalls reformiert und außerdem gab es ein weitreichendes Mediengesetz[7]. 2010 wurde die nationale Zusammenarbeit als Grundlage für einen neuen ungeschriebenen Gesellschaftsvertrag konzipiert. Eine kulturell homogene ungarische Gesellschaft wurde als Grundlage für die Lösung gesellschaftlicher Probleme angesehen. 2011 kam es zu einer Verfassungsreform, in der zum einen die Kompetenzen des Ministerpräsidenten ausgedehnt wurden, während die Kompetenzen von Präsident und Verfassungsgericht beschränkt wurden[8]. Diese Maßnahmen wurden von der EU und von der sogenannten Venedig-Kommission für ihre fehlende Transparenz kritisiert. Die Kompetenzen des Verfassungsgerichts wurden dann 2014 in einer weiteren Reform eingeschränkt.

Das Wahlsystem wurde insofern reformiert, dass die Zahl der Mandate von 386 auf 199 reduziert wurde[9]. Während das Grabenwahlsystem beibehalten wurde, erhielten die Minderheiten in Ungarn und die im Ausland lebenden Ungarn mehr Rechte. Des Weiteren wurden die öffentlich-rechtlichen Medien umstrukturiert[10]. So kam es zu neuen Gremien und Monopolstellungen, was zu einer anschließenden Entlassungswelle führte.

Seit 2010 ist Viktor Orbán Ungarns Ministerpräsident. Die ungarische Regierung besteht aktuell aus zehn von ihm ernannten Ministern[11].

 

Quellen:

Bundeszentrale für politische Bildung (12.3.2013): Ungarns Parlament verabschiedet weitreichende Verfassungsänderung, http://www.bpb.de/politik/hintergrund-aktuell/156390/ungarn-verfassungsaenderung-11-03-2013 .

dpa (21.12.2010): Ungarn führt die Zensur ein, in: Zeit Online, http://www.zeit.de/politik/ausland/2010-12/ungarn-mediengesetz-orban.

Neue Zürcher Zeitung (1.6.2014): Orban nominiert sein Kabinett, https://www.nzz.ch/orban-nominiert-sein-kabinett-1.18312880.

Ismayr, Wolfgang (2011): Das politische System Ungarns.

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[1] Ismayr (2011), S.367 f.

[2] ebd.

[3] ebd.

[4] Ismayr (2011), S. 391 ff.

[5] ebd.

[6] Ismayr (2011), S. 384.

[7] Ismayr (2011), S. 381.

[8] Bundeszentrale für politische Bildung (2013).

[9] Ismayr (2011), S. 381.

[10] Zeit Online (2010).

[11] Neue Zürcher Zeitung (2014).