1918, im letzten Kriegsjahr des Ersten Weltkriegs brachen die drei dominierenden Mächte in Mittelosteuropa – Russland, Österreich-Ungarn und Deutschland – endgültig zusammen. Aus den frei gewordenen Territorien in Mittelosteuropa entstand eine neue Staatenvielfalt, auch Polen konnte sich nach einer 123-jährigen Partition wiedervereinigen und rief am 11. November 1918 seine Unabhängigkeit aus.
Der 11. November ist aber nicht der einzige Unabhängigkeitstag, der in Polen gefeiert wird. Der „Rivale“ des 11. November ist der 3. Mai, an diesem Tag wird die Verabschiedung der ersten polnischen Konstitution im Jahr 1791 gefeiert. Heute sind sowohl der 3. Mai als auch der 11. November offiziell Feiertage in Polen, obwohl der 11. November in der polnischen Erinnerungskultur eine wichtigere, aber auch eine kontroversere Rolle einnimmt.
Der 11. November in der Zeit des Kommunismus
Zur Zeit des Kommunismus wurden nämlich beide oben genannte Feiertage nicht offiziell gefeiert. Besonders das Feiern des 11. Novembers war unter Kommunisten verhasst, da dieser Tag zu sehr an das konservative und reaktionäre Piłsudski-Regime der Zwischenkriegszeit erinnere.[1] Stattdessen feierte man im kommunistischen Polen den 22. Juni als Nationalfeiertag, da an diesem Tag im Jahr 1944 das lubliner kommunistische Manifest veröffentlicht wurde.
Durch das Verbot und die Verdrängung des 11. Novembers als Nationalfeiertag durch die kommunistische Partei wurde dieser Tag politisch neu aufgeladen und bekam eine neue Bedeutung. Unter Dissidenten wurde der Feiertag aus Protest weiterhin hochgehalten, die Dissidenten verfolgten damit klar das Ziel Erinnerungen an die Phase der polnischen Unabhängigkeit in der Zwischenkriegszeit wiederzuerwecken. Der Unabhängigkeitstag wurde nun also ein Symbol des konservativen Piłsudski-Regimes und des Antikommunismus.[2]
In den 80ern versuchte die Kommunistische Partei Polens dieser Entwicklung entgegenzusteuern, indem sie selbst die nationale Symbolik des 11. Novembers ehrte und Festreden an diesem Tag abhielt.[3] Doch die Macht der Partei schwand in den 80ern zunehmend, bis sie 1989 vollkommen von der Bildfläche verschwand. Die Übergangsregierung setzte den 11. November wieder als offiziellen Feiertag ein, schon am 11. November 1989 wurde der Unabhängigkeitstag mit einer Militärparade und viel piłsudskistischer Sympbolik gefeiert, wie Straßen- und Platzumbenennungen.[4]
Der 11. November nach 1989
Obwohl der 11. November heute von den meisten Polen als Tag des Patriotismus und als Tag der Erinnerung an das nationale Erbe gefeiert wird, verschwand das militant anti-kommunistische und nationalistische Element an diesem Tag nicht vollständig. In den letzten Jahren erweckten die Umzüge von extrem-rechten Gruppierungen am 11. November in Polen sogar die Aufmerksamkeit der internationalen Medien. Speziell während Protesten von 2008 und 2013 kam es zu mehreren Festnahmen, Verletzten und finanziellen Schaden.[5]
Angesichts dieser sich zuspitzenden und beängstigenden Situation bringt der polnisch-amerikanische Historiker Mieczysław Biskupski die Rolle des Unabhängigkeitstages in der polnischen Gesellschaft mit folgenden Worten gut auf den Punkt: „Der November ist ein Monat der Reflexion für Polen, es beginnt mit Allerheiligen und endet mit dem Jubiläum des katastrophalen Aufstandes von 1830. In der Mitte des Monats ist der Unabhängigkeitstag. Der Platz des 11. Novembers in der polnischen Geschichte ist problematisch. Er braucht Betrachtung und wehmütige Reflexion. Es ist kein Tag für glückliche Feiern, es ist ein Tag fürs Gedächtnis.“[6]
Referenzen:
[1] Vgl. Mieczysław Biskupski, Independence Day; Myth, Symbol and the Creation of modern Poland (Oxford, 2012), S. 120.
[2] Vgl. Biskupski, Independence Day, S. xii.
[3] Vgl. Biskupski, Independence Day, S. 144.
[4] Vgl. Blanka Heckermann, Polens Erinnerungspolitik; Der Umgang mit dem Staatsozialismus sei 1989 – Anhand der Staatspräsidenten-Gedenkreden zum Unabhängigkeitstag (Wien 2017).
[5] Vgl. BBC; „Poland Independence Day march turns violent”; https://www.bbc.com/news/world-europe-20286409; zuletzt zugegriffen am 15.5.19
[6]Biskupski, Independence Day, S. 179.
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