Im Schatten der Brexit-Debatte trafen sich am 4. Juli Delegierte der EU und einzelner Interessensländer mit den Staatsoberhäuptern sowie Außen- und Wirtschaftsministern der sechs südosteuropäischen Staaten.

Der nun jährlich stattfindende Westbalkan-Gipfel ist Teil des sogenannten Berlin-Prozesses: Im August 2014 hatte Angela Merkel zur Konferenz zum Westlichen Balkan in die deutsche Hauptstadt geladen. Im Mittelpunkt dieser fünf Jahre andauernden Periode steht die Perspektive der noch-nicht-EU-Staaten in Südosteuropa. Zentrale Diskussionspunkte sind inter alia konkrete Reformprozesse, wirtschaftliche Stärkungen, die Beilegung von bilateralen Streitigkeiten sowie die Kooperation im südöstlichen Europa durch den Regionalen Kooperationsrat (RCC – Regional Corporation Council).

Im Jahr darauf durfte noch der ehemalige österreichische Kanzler Faymann zur Konferenz nach Wien laden – zu einer ersten Bilanz und zur Besprechung weiterer Ziele bis 2018. Ende August 2015 stand jedoch vor allem der den Balkan durchquerende Flüchtlingsstrom im Fokus. Nennenswerte Beschlüsse im Rahmen der Zusammenkunft waren der Beschluss für ein regionales Jugend-Austauschprogramm, gemeinsame infrastrukturelle Projekte sowie die erstmalige Teilnahme von Repräsentanten der Zivilgesellschaft. Zusätzlich wurden bilaterale Streitfragen zur Grenzziehung zwischen Montenegro-Bosnien und Montenegro-Kosovo gelöst sowie ein Abkommen zur Normalisierung der Beziehungen zwischen Kosovo und Serbien unterzeichnet. Zu guter Letzt einigten sich alle sechs Staaten mit einer gemeinsamen Deklaration zu einem Gentlemen Agreement: Man wolle sich bei der weiteren EU-Integration nicht gegenseitig im Weg stehen. Nichtsdestotrotz folgte die erste nachbarliche Blockade zwischen südosteuropäischen Staaten bereits im Frühjahr 2016, als Kroatien – welches nicht Bestandteil der Deklaration gewesen war – die Öffnung der EU-Beitrittskapitel 23 und 24 mit Serbien blockierte.

Die diesjährige Konferenz in Paris am 4. Juli brachte erneut die Staatsoberhäupter der Staaten Serbien, Bosnien-Herzegowina, Albanien, Kosovo, Mazedonien und Montenegro zu einem Dialog zusammen. Hinzu kamen EU-Delegierte sowie Repräsentanten nationaler Staaten, die Interesse am Westbalkan zeigen: Frankreich als Gastgeber und Italien als zukünftiger Schauplatz sowie Deutschland, Österreich, Kroatien und Slowenien. Thematisch im Vordergrund standen wiederum regionale Kooperation und Wirtschaftswachstum, aber auch Terrorbekämpfung und die Situation der Flüchtlinge. Erfolge gab es zu verzeichnen: Unter der Mediation von EU-Kommissar Hahn wurde der bilaterale Streit zwischen Kroatien und Serbien beigelegt und Letzterem damit gestattet die zwei wichtigen Kapitel auf dem Weg zu einer möglichen EU-Integration zu eröffnen.

Ein Wehrmutstropfen bleibt, denn Mazedonien bleibt weiterhin blockiert rund um den Namensstreit – vielleicht wäre es auch Zeit, Griechenland aktiv in diesen Konferenzrahmen einzubinden. Des Weiteren wurde nun das bereits im Vorjahr nach deutsch-französischem Vorbild beschlossene Regionale Jugendwerk (RYCO – Regional Youth Cooperation Office) von den sechs Westbalkanstaaten tatsächlich ins Leben gerufen. Zusätzlich war auch das Civil Society Forum wieder aktiver Bestandteil der Konferenz – von den EU-Staaten gewünscht, von den südosteuropäischen Teilnehmern toleriert.

Waren im Vorjahr die Flüchtlinge das bestimmende Thema, ist es im Juli 2016 naturgemäß das britische Referendum zum EU-Austritt. Der Brexit hätte auch für die südosteuropäische Region Konsequenzen, denn während die Union auf der einen Seite leicht bröckelt, ist es schwierig, gleichzeitig auf der anderen Seite einen glaubhaften Erweiterungsdialog zu führen. Das Druckmittel, einer vereinten und starken EU beitreten zu können, ist schwächer geworden – trotz aller sprachlichen Bemühungen von Seiten europäischer Größen. Kritik am Gemeinschaftsprojekt findet sich auch vermehrt in der Region wieder. Dadurch rückt auch eine eigentlich dringend notwendige Debatte über die politischen Entwicklungen und semi-autoritären Tendenzen in vereinzelten Ländern in eine untergeordnete Rolle. Die „soft-power“ Herangehensweise der EU wird zusätzlich durch die wirtschaftlichen (China, Russland) und politischen Interessen (Russland) anderer globaler Mächte durcheinandergewirbelt. Zu oft hat sich in der Vergangenheit gezeigt, dass Zugeständnisse leicht von der Hand gehen, Schwierigkeiten jedoch auftreten, sobald es zur Umsetzung von geplanten Reformen und Kooperationsprojekten kommt.

 

Bildquelle: http://www.oltnertagblatt.ch/ausland/merkel-stellt-albanien-und-kosovo-die-eu-mitgliedschaft-in-aussicht-130405223