Viktor Orbán und die Fidesz-Partei haben die parlamentarischen Wahlen im April 2022 zum vierten Mal in Folge für sich entschieden. Die nationalkonservative Fidesz hat mit der christlichdemokratischen KDNP eine zweidrittel Mehrheit im Parlament. Dies lässt darauf schließen dass der schrittweise Umbau Ungarns in Richtung einer Autokratie für vier weitere Jahre fortschreiten wird. Orbán hat in seinen vergangenen Regierungsperioden die Kontrolle überunabhängiger Institutionen konsolidiert. Er untergräbt sowohl die Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit als auch die Normen und Standards der Europäischen Union in Ungarn. Durch umstrittene Gesetzgebungen in den vergangenen Jahren hat Ungarn die internationale Aufmerksamkeit auf sich gezogen.

Viktor Orbán hat sich durch die gezielte Vergabe von Posten ein funktionierendes Netzwerk aus Verwaltung, Polizei, Secret Service und Militär aufgebaut. Darüber hinaus hat er durch die strategische Vergabe von Aufträgen eine sozioökonomische Elite um sich aufgebaut. Dieses Netzwerk regierungsnaher Figuren umfasst auch wichtige Persönlichkeiten aus Wirtschaft und der Medienlandschaft, die Orbáns Einfluss weiter vergrößern. Durch diese Vernetzung kann Orbán breit Kontrolle über die ungarische Bevölkerung ausüben.

Der Rückgang der Demokratiequalität Ungarns ist auch in der Entwicklung der Pressefreiheit beobachtbar. Seit 2010 hat Orbán die Medienlandschaft nach und nach unter die Kontrolle der Fidesz gebracht. Die öffentlich-rechtlichen Radiosender wurden in der staatlichen Medienholding MTVA zentralisiert und die regionale Presse befindet sich seit 2017 komplett in dem Besitz Orbán-freundlicher Unternehmen. Im Jahr 2018 wurden knapp 500 regierungsnahe Medienunternehmen in einer Holding zusammengefasst, in der die Berichterstattung zentral koordiniert wird. Durch die Verteilung finanzieller staatlicher Zuwendungen und der Vergabe staatlicher Werbung besitzt die Regierung hier noch mehr Macht. Insgesamt ist die kritische Berichterstattung nur noch von geringem Ausmaß, da kritische Medien eingestellt wurden. So ging 2021 auch der letzte unabhängige Radiosender vom Netz. Kritische Berichterstattung findet nur noch vereinzelt über Online-Portale statt.

Durch die kürzliche Aufdeckung des „Pegasus-Skandals“, bei dem aufgedeckt wurde, dass ungarische Journalisten mit einer Spionagesoftware für Geheimdienste zur Terrorismusbekämpfung, ausgespäht wurden, nahm dieses Thema an Brisanz zu. Die ungarische Regierung behauptet jedoch nichts von dieser Datensammlung gewusst zu haben.

Die Stellung von Minderheiten in Ungarn verschlechtert sich zunehmend. Homosexualität wird mehr und mehr als Feindbild stilisiert und Ungarn machte 2021 durch seine umstrittene Anti-LGBTQ-Gesetzgebung auf sich aufmerksam. Dieser zufolge ist es verboten Informationen über Homosexualität unter Minderjährigen zu verbreiten. Diese Gesetzgebung hatte eine Welle der Empörung und zahlreiche Demonstrationen in ganz Europa ausgelöst.

Die ethnische Minderheit der Roma in Ungarn gilt in der Regierung Orbáns als schwer integrierbar und steht im Fokus der nationalistischen Fidesz-Rhetorik. Besonders die Kürzung von Sozialleistungen richtet sich meist indirekt gegen sie, da sie einen überdurchschnittlich großen Anteil der Sozialhilfeempfänger ausmachen. Darüber hinaus wird Roma-Kindern teilweise eine gute Schulausbildung verwehrt.

Durch Fidesz klare Mehrheit im Parlament in Kombination mit der Regelung, dass ausschließlich die Regierungsfraktion die Verfassungsrichter vorschlagen darf, hat diese die Kontrolle über deren Ernennung erlangt. Um direkt mehrere Verfassungsrichter ernennen zu können wurde deren Zahl von 11 auf 15 erhöht. 2011 und 2012 hatte das Verfassungsgericht mehrere Gesetze, wie Teile der Wahlrechtsreform, gekippt. Dies hinderte Orbán jedoch nicht daran diese Gesetze in den Verfassungsrang zu erheben und sie dann mit einer zweidrittel Mehrheit zu erlassen. Diese konnten dann nicht mehr gekippt werden. Er hat dadurch die Rechtstaatlichkeit einfach umgangen.

Diese Entwicklungen führten natürlich zu einer Reaktion der Europäischen Union. Zum einen trat neben dem 2014 geschaffenen ein 2021 neu geschaffener Rechtsstaatsmechanismus in Kraft. Durch diesen können Verstöße gegen die EU-Werte finanziell geahndet werden. Dessen juristische Konformität und seine Geltung wurden im Februar 2022 durch den EuGH bestätigt. Dieser findet momentan Anwendung bei Polen und Ungarn. Er hat sich jedoch in der Praxis als wenig wirksames Instrument herausgestellt. Das Artikel-7-Verfahren, das den Schutz der Grundwerte der EU zur Aufgabe hat, ist ebenso gegen Polen und Ungarn eingeleitet. Dieses soll feststellen, ob die Gefahr der Verletzung dieser Grundwerte besteht oder bereits schwerwiegende Verletzungen vorliegen. Die schwerste Sanktion, die daraus folgen kann, ist eine Aussetzung des Stimmrechtes des Mitgliedsstaates. Diese Entscheidung müsste jedoch Einstimmig erfolgen.

Im Vorfeld der ungarischen Wahlen 2022 wurde deutlich, wie Orbán seine Machtbasis sichert. Fidesz nutzte den Krieg in der Ukraine für sich und stellte sich mit Hilfe seines professionellen Wahlkampfmanagements und einer proaktiven Medienkampagne als die Partei für Frieden und Stabilität dar. Ihr großer Erfolg ist auch darauf zurückzuführen, dass sie es schafften unterschiedliche Wählergruppen für sich zu gewinnen: sowohl die bürgerliche und die sozial orientierte, als auch die eher prowestliche im Erbe der 1956er und die eher prorussisch orientierte Wählerschaft. Demgegenüber schaffte es die Opposition, die stets als geeintes Bündnis auftrat, nicht eine Aufbruchstimmung zu erzeugen. Der oppositionelle Spitzenkandidat Márki-Zay leistete sich im Vorfeld der Wahlen einige Fehltritte, die die Position der Opposition weiter schwächte. Daraus ergab sich der klare Wahlsieg Fidesz.

Finanziell steht Ungarn vor einer finanziellen Herausforderung und kann es sich nicht leisten auf die EU-Gelder zu verzichten. Das Verhältnis zu Polen ist in Folge des unterschiedlichen Kurses bezüglich der Lage in der Ukraine und Russland momentan belastet. Es ist zu erwarten, dass sich der Abbau der Demokratie in Ungarn weiter fortsetzen wird. Unter anderem weil sich die Werkzeuge der EU, die dies verhindern sollen, als unwirksam herausgestellt haben. Es gilt die weiteren Entwicklungen der Demokratiequalität und Rechtstaatlichkeit in Ungarn zu beobachten.

 

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