Wer die Impffortschritte bei der Immunisierung gegen das Coronavirus in verschiedenen Ländern der Welt in der letzten Zeit intensiver beobachtete, musste feststellen, dass neben den Ländern wie Israel, den USA und Großbritannien ein weiteres Land, bei dem nicht unbedingt damit zu rechnen war, die meisten europäischen Länder bei der Geschwindigkeit seiner Impfkampagne bislang weit hinter sich gelassen hat. Dieses Land ist Serbien. Daher stellt sich die Frage, wie das dem serbischen Staat, der bislang nicht unbedingt durch seinen souveränen Umgang mit der Pandemie aufgefallen ist, gelingen konnte. Fiel Serbien bislang eher durch das systematische Unterschlagen von Corona-bedingten Todesfällen und großen Opportunismus beim Zeitpunkt der Lockerung von Maßnahmen kurz vor der Wahl im letzten Sommer auf, so scheint Serbien nun ein Musterbeispiel gelungener Pandemiebekämpfung zu sein. Wie konnte es dazu kommen?
Nimmt man die Situation in Serbien genauer unter die Lupe, so fällt sofort auf, dass dort nicht in erster Linie mit Impfstoffen, die in der EU oder gar in Serbien selbst produziert werden, geimpft wird, sondern mit den chinesischen und russischen Varianten des Vakzins. Das ist interessant, da die außenpolitische Strategie Serbiens schon seit Längerem als Versuch beschrieben werden kann, sich durch das Ausspielen von Russland, China und der EU gegeneinander eine möglichst günstige Position zu verschaffen. Brisant ist dabei allerdings, dass Serbien selbst sich offiziell seit 2009 um einen Status als EU-Mitgliedsland bewirbt und seit 2014 Beitrittsverhandlungen mit der EU-Kommission laufen. Aufsehenerregend ist in diesem Kontext auch, dass der Präsident Aleksandar Vučić den Exportstopp für Impfstoffe der EU aufgriff, indem er die EU-Kommission mit dem Vorwurf angriff, dass die europäische Solidarität nicht existiere und nur auf China verlass sei. Der Vorwurf mag zwar verständlich erscheinen, muss vor dem Hintergrund, dass die EU aber auch wesentlich an der Impfalllianz Covax beteiligt ist und mit der WHO zusammen auch für Impfstofflieferungen in den Westbalkan sorgt, aber auch im Kontext der außenpolitischen Strategie Serbiens gesehen werden. Diese Strategie kann, wie schon erwähnt, als der Versuch Serbiens beschrieben werden, sich in einer Art Dreieck zwischen der EU, China und Russland zu platzieren und so vom Wettbewerb dieser drei Akteure um geopolitischen Einfluss auf dem Balkan zu profitieren. Dies zeigte sich auch vor Beginn der Coronakrise schon daran, dass Serbien zwar Beitrittsverhandlungen mit der EU führt, aber dennoch weiterhin den engen Kontakt zu Russland aufrechterhält und beispielsweise 2019 russische Militärsysteme kaufte und gemeinsam mit russischen Truppen eine Übung abhielt. Von China erwarb das serbische Verteidigungsministerium im umfangreichsten Geschäft, das China seit Ende des Kalten Krieges in Europa tätigte, ein modernes bewaffnetes Drohnensystem, außerdem wird die serbische Hauptstadt Belgrad mithilfe von Huawei zur „Smart City“ ausgebaut und teilweise patrouillieren dort chinesische Polizisten, angeblich um das Sicherheitsgefühl chinesischer Touristen zu erhöhen.
Auch wenn es gegenwärtig den Eindruck macht, dass die serbische Strategie aufgehe, stellt sich die Frage, inwiefern die unverhohlene Annäherung Serbiens an China und Russland, die während der Pandemie wohl einen neuen Höhepunkt erreicht hat, das künftige Verhältnis Serbiens zur Europäischen Union, die China und Russland inzwischen auch offiziell als Wettbewerber um geopolitischen Einfluss benennt, langfristig Entwickeln wird. Diese Frage könnte langfristig auch von enormer Bedeutung für die gesamte politische Entwicklung auf dem Balkan sein, da andere Staaten in der Region wie Albanien oder Nordmazedonien ebenfalls einen Beitritt zur EU anstreben oder wie Kroatien oder Slowenien bereits beigetreten sind.
Quellen:
https://www.n-tv.de/politik/Serbien-ist-der-EU-beim-Impfen-weit-voraus-article22351176.html
https://ec.europa.eu/commission/presscorner/detail/de/IP_20_1816
https://www.dw.com/de/russland-schickt-raketensysteme-nach-serbien/a-50970592
https://www.zeit.de/politik/ausland/2020-03/serbien-coronavirus-china-europaeische-union-eu-beitritt
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