Madalina Mirea


Zusammenfassung

Die südosteuropäische Republik Bulgarien geht in ihrer modernen Konstitution auf das Jahr 1885, das Jahr der „Bulgarischen Krise“ und in weiterer Folge auf die Unabhängigkeitserklärung des Landes 1908 zurück. Die Staatsform war dem folgend während des Kalten Krieges mit Bulgarien als Teil des Sowjetblocks stark zentralistisch, woran sich auch nach dem Zusammenbruch der sowjetischen Systeme und den Mitgliedschaften in der NATO (2004) und in der Europäischen Union (2007) nichts geändert hat.

So ist die Legislative durch die Nationalversammlung (Einkammersystem) zentralisiert, auch die Zentralregierung leitet sich vom Premierminister ab. Nichtsdestotrotz verfügen die Gemeinden über die Befugnis, lokale Steuern zu erheben und auch das Budget zu bestimmen, wobei sie hier der Zentralbehörde verpflichtet sind.

Der bulgarische Zentralstaat besteht weiters aus 28 Verwaltungsbezirken (Oblaste), die wiederum in 264 Gemeinden (Obshtina) unterteilt sind. Diese Gemeinden sind die einzige Verwaltungsebene mit Selbstverwaltung. Die fortlaufende EU-Integration gewährte den Gemeinden in Vergangenheit mehr Autonomie. Nichtdestotrotz muss Bulgarien aber immer noch als zentralistisches System klassifiziert werden.

Verfassungsgeschichte

Der moderne bulgarische Staat stammt aus dem 19. Jahrhundert, wobei der russisch-türkischen Kriege einen günstigen Rahmen für die Bildung Bulgariens darstellte. Der Berlin Vertrag (1878) schuf im Norden eine kleinere Bulgarien und im Süden die Provinz Ostrumelien. Bulgarien war dabei autonom, aber unter der Souveränität der Osmanen. Ein Coup d‘Etat führte 1885 zur Vereinigung der beiden Provinzen. Diese Personalunion wurde von den Westmächten akzeptiert, aber von Russland missbilligt. Im Juli 1887 wählten die Bulgaren Ferdinand von Sachsen-Coburg-Gotha zu ihrem neuen Fürsten, ein konservativer Regierungsstil ebneten den Weg für eine Versöhnung mit Russland.

Am 5. Oktober 1908 erklärte sich Bulgarien für unabhängig. Zwischen 1912 und 1918 wurde es in drei aufeinanderfolgende Konflikte verwickelt – zwei Balkankriege und den Ersten Weltkrieg. Nach einer katastrophalen Niederlage im Zweiten Balkankrieg kämpfte Bulgarien aufgrund seines Bündnisses mit den Zentralmächten erneut auf der Verliererseite im Erster Weltkrieg. Die daraus resultierenden politischen Unruhen führten im Zuge dessen zur Gründung einer königlichen autoritären Diktatur.

Der Wunsch nach territorialer Expansion und die Erwartung eines deutschen Sieges führten 1941 dazu, dass Bulgarien in den zweiten Weltkrieg eintrat. Die UdSSR erklärte drei Jahre später, 1944, dem verlierenden deutschen Verbündeten Bulgarien den Krieg und fiel in dessen Territorium ein. Die kommunistisch dominierte Vaterlandfront übernahm gestützt von den Sowjets die Macht, beendete die Kriegsteilnahme aufseiten der Achsenmächte und schloss sich der alliierten Seite bis Kriegsende an. Die gewonnenen Gebiete, mit Ausnahme der südlichen Dobrudscha, gingen verloren. Nach einem Referendum im Jahr 1946 wurde eine Volksrepublik mit zentralistischem Einparteiensystem gegründet, welche bis 1989 in dieser Form bestand hatte (Encyclopædia Britannica 2019).

Legislative

Seit dem Ausschied aus dem Sowjetsystem liegt die gesetzgebende Gewalt in Bulgarien bei der Nationalversammlung (Narodno sabranie). Es existiert keine zweite Kammer. Die Nationalversammlung besteht aus 240 Abgeordneten, die für vier Jahre gewählt sind. Die Abgeordneten werden im Zuge eines proportionalen Vertretungssystem in Wahlkreisen mit mehreren Mandaten mit einer Schwelle von 4% gewählt. Es gibt drei Sitzungen pro Jahr. Das Parlament wählt und entfernt den Premierminister und auf seinen Antrag die Mitglieder des Ministerrates. Es ist für die Verabschiedung von Gesetzen, die Genehmigung des Haushaltsplans, die Planung von Präsidentschaftswahlen, die Kriegserklärung und die Ratifizierung internationaler Verträge und Vereinbarungen verantwortlich. (Constitution of the Republic of Bulgaria 1991)

Zusätzlich zu der ordentlichen Nationalversammlung kann eine Große Nationalversammlung für besondere Gerichtsstände einberufen werden. Diese ist befugt, Änderungen der Verfassung oder die Annahme einer neuen Verfassung zu beschließen. Eine Große Nationalversammlung kann nur über die Verfassungsänderungsentscheidungen beschließen, für die sie gewählt wurde. Gemäß der Verfassung von 1991 besteht sie aus 400 Abgeordneten (im Gegensatz zu 240 in der ordentlichen Nationalversammlung).

Trotz der starken Zentralisierung wird in Bulgarien das Recht der kommunalen Selbstverwaltung betont. Aus diesem Grund existiert auf der kommunalen Ebene ein Rat, in welchem über Angelegenheiten wie Haushalt, lokale Steuern und Entwicklung entschieden wird (Law 77/1991 1991).

Exekutive

Der Premierminister ist Vorsitzender des Ministerrates, dem Hauptbestandteil der Exekutive. Neben dem Ministerpräsidenten und dem stellvertretenden Ministerpräsidenten setzt sich der Rat aus Ministern zusammen, die die verschiedenen Regierungsstellen in der Regierung leiten. Diese sind meist Mitglieder der Regierungspartei oder Mitglieder des Koalitionspartners. Der Rat ist verantwortlich für die Durchführung der staatlichen Politik, die Verwaltung des Staatshaushalts und die Aufrechterhaltung von Recht und Ordnung. Der Ministerrat sorgt für die öffentliche Ordnung und die nationale Sicherheit und führt allgemeine Anweisungen über die Staatsverwaltung und die Streitkräfte aus.

Das Staatsoberhaupt ist der Präsident, der die Einheit der Nation verkörpert und die Republik Bulgarien in ihren internationalen Beziehungen vertritt. Der Präsident und der Vizepräsident werden in derselben Wahl mit absoluter Mehrheit für fünf Jahre gewählt. Der Präsident ernennt beziehungsweise bestätigt den designierten Premierminister, der von der Partei ernannt wurde, die die meisten Sitze in der Nationalversammlung hat, um eine Regierung zu bilden (Constitution of the Republic of Bulgaria 1991).

In Hinblick auf die kommunale Steuerung verfügt die Republik über drei Verwaltungsebenen; die staatliche Ebene, die Distriktebene und die Gemeindeebene. Der Zentralstaat besteht aus 28 Verwaltungsbezirken (Oblaste), die wiederum in 264 Gemeinden (Obshtina) unterteilt werden.

Seit den 2000er-Jahren ist in Bulgarien ein Dezentralisierungsprozess erkennbar. Seitdem haben die Gemeinde diverse Verwaltungskompetenzen erworben, die im Jahr 2002 auch durch die finanzielle Unabhängigkeit ergänzt wurden (OECD 2016). Verwaltungsbezirke (Oblasti), auch als „untergeordnete Regionen“ bezeichnet, sind dezentrale Abteilungen der Zentralregierung, die Vertreter werden hier nicht direkt gewählt. Die Gemeinde (Obshtini) bildet die einzige Ebene, auf der praktisch eine Art Selbstverwaltung ausgeübt wird, obwohl der Bürgermeister dabei ein Exekutivorgan der Regierung ist.

Bulgarien kann als ein stark zentralisierter Staat bezeichnet werden, da der nationale Ministerrat direkt Distriktvorsitzende ernennt und alle Distrikte vollständig vom Staatshaushalt abhängig sind, während die Kommunen weniger vom Staatshaushalt abhängig sind (Law 77/1991 1991).

Judikatur

In Bulgarien sind das Oberste Kassationsgericht und das Oberste Verwaltungsgericht an der Spitze der Judikatur. Das Oberste Kassationsgericht besteht aus einem Vorsitzenden und 72 Richtern, die in Straf-, Zivil- und Handelskollegien organisiert sind. Das oberste Verwaltungsgericht ist in zwei Kollegien organisiert die verschiedenen Fachgruppen mit jeweils fünf Richtern haben. Die Richter werden vom Obersten Justizrat gewählt und vom Präsidenten ernannt.

Die Bezirksgerichte sind die Hauptgerichte für die Prüfung von Fällen in erster Instanz. Es gibt 113 Bezirksgerichte. Ihre Entscheidungen können vor dem zuständigen Provinzgericht angefochten werden. Die Provinzgerichte fungieren als Gerichte erster und zweiter Instanz. Als Gerichte der ersten Instanz prüfen sie eine genau definierte Kategorie von Fällen, die erhebliche Beträge oder erhebliches gesellschaftliches Interesse aufweisen. Als zweite Instanz prüfen sie die Entscheidungen der Bezirksgerichte. Es gibt 28 Provinzgerichte und 28 Verwaltungsgerichte. (European Justice 2019).

Herausforderungen und Besonderheiten

Der Heranführungsprozess für die EU war auch der Beginn eines Dezentralisierungsprozesses in Bulgarien, im Zuge von welchem die Gemeinde mit einer großen Autonomie ausgestattet wurden. Der Mangel an Fachwissen in der Selbstverwaltung und die Notwendigkeit, ihre Stimme vor der Hauptstadt durchzusetzen, führten 1996 weiters zur Gründung der Nationalen Vereinigung der Gemeinde in der Republik Bulgarien (National Association of the Municipalities in the Republic of Bulgaria oder NAMRB). Die Tätigkeit von NAMRB konzentriert sich dabei auf drei Hauptbereiche:

  1. Vertretung der Gemeinden vor der Zentralregierung;
  2. Unterstützung der Gemeinden bei der Ausübung ihrer Befugnisse;
  3. Teilnahme an bulgarischen und internationalen Foren; und organisatorische Stärkung der NAMRB. (NAMRB 2010)

Das NAMRB hatte eine entscheidende Rolle bei der Entwicklung und Genehmigung des Plans zur Dezentralisierung der öffentlichen Finanzen ab 2002. Diese Politik erlaubte es den Gemeinden, über die lokalen Steuerbeträge zu entscheiden. Noch wichtiger ist, dass NAMRB eine entscheidende Rolle bei der Schulung lokaler Behörden spielt. Diese Schulung hängt dabei in hohem Maße von den Best-Practice-Austauschprogrammen der NAMRB ab (Gaydardzhieva 2013, 71). Ein ständiges Thema dieser Treffen sind EU-Mittel für gemeinschaftliche Projekte. Die Fähigkeit, EU-Mittel erfolgreich in Anspruch zu nehmen, unterscheidet wohlhabende Kommunen von jenen, die hinterherhinken (Gaydardzhieva 2013, 72).

 

Quelle:

Constitution of the Republic of Bulgaria. 1991. „Constitution of the Republic of Bulgaria.“ National Assemblz of the Republic of Bulgaria. July 13. Accessed January 14, 2019. https://www.parliament.bg/en/const/.

Encyclopædia Britannica. 2019. „Bulgaria.“ Encyclopædia Britannica. Accessed January 16, 2019. https://www.britannica.com/place/Bulgaria.

European Justice. 2019. „Judicial Systems in Member States – Bulgaria.“ European Justice. Accessed January 15, 2019. https://e-justice.europa.eu/content_judicial_systems_in_member_states-16-bg-en.do?member=1.

Gaydardzhieva, Veneta. 2013. „EU Regional Policy and the Opportunities for Socio-Economic Development.“ Review of Applied Socio- Economic Research 5 (1): 69-75.

Law 77/1991. 1991. „Local Self-Government and Local Administration Act.“ September 17. Accessed January 15, 2019. http://unpan1.un.org/intradoc/groups/public/documents/untc/unpan016312.pdf.

NAMRB. 2010. „National Association of Municipalities in the Republic of Bulgaria Through the Years.“ NAMRB. Accessed January 17, 2019. https://www.namrb.org/uploads/tinymceup/files/EN/broshure1996_2010.pdf.

OECD. 2016. „Bulgaria Profile.“ OECD. October. Accessed January 15, 2019. https://www.oecd.org/regional/regional-policy/profile-Bulgaria.pdf.