Katharina Schmitz
Am 08.04.2021 starb Jovan Divjak. Insbesondere in seiner Wahlheimat Sarajevo, die er liebevoll ‚mon amour‘ nannte, war er schon zu Lebzeiten eine Legende und personifiziertes Symbol für ein multi-ethnische, friedliches Bosnien-Herzegowina.
Divjak, der von Bosnier:innen auch Onkel oder General Jovo genannt wurde, wurde in Belgrad geboren. Seine Eltern kamen aus der bosnischen Krajina-Region. Wie sein Vater diente Divjak in der Jugoslawischen Volksarmee, verbrachte einen Teil seiner Ausbildung in Frankreich und zog in den 1960ern wieder nach Sarajevo.
Er identifizierte sich nicht als Serbe, oder bosnischer Serbe, sondern als Bosnier. Und als solcher schloss er sich während des Bosnienkriegs (1991-1995) der Bosnischen Verteidigungsarmee an, kämpfte also gegen die Jugoslawische Volksarmee und serbische Nationalisten und war maßgeblich an der Verteidigung Sarajevos während der 44-monatigen Besatzung beteiligt. Der Symbolkraft seiner Person bewusst, wurde er nicht nur wegen seiner langjährigen, militärischen Erfahrung sondern auch aus Symbolgründen zum General ernannt – er nannte sich später Teil eines Blumenarrangements[1].
Charakterisierend für sein Engagement und Leben war, dass er dieses multi-ethnische Arrangement eben nicht nur als symbolkräftiges Kunstwerk sah, sondern als Repräsentation der Realität in Bosnien-Herzegowina und besonders Sarajevos. Ein multi-ethnisches, geeintes Bosnien-Herzegowina spiegelte für ihn seine erlebte Wirklichkeit wider. Diese war im Kindesalter geprägt worden, als die Deutschen Jugoslawien überfielen und Partisanen, unter Tito’s Kommando, für ein multiethnisches Bosnien kämpften (1941-1945)[2].
Man erinnert den ermordeten und gefallenen Bürger:innen Sarajevos, die serbische, muslimische, kroatische und jüdisch-sephardische Namen tragen auf Vraca, einem Partisanendenkmal auf einem Hügel oberhalb von Sarajevo[3]. Serbische Nationalisten, Snajper, schossen von hier auf Menschen in der Stadt, 44 Monate lang. Wie schmerzhaft dieses Paradox ist, zeigte sich auch in seinen Augen.
Er war einer dieser Menschen, die ihr Leben in ihren Augen tragen, so fand ich. Deren Augen sprechen, bevor es ihre Stimme kann. Ich hatte das Privileg Jovo im Rahmen eines Praktikums in Sarajevo im Büro für ein Projekt zu interviewen. Wir sprachen mit Händen und Füßen und hauptsächlich Französisch, da dies die einzige Sprache war, die wir beide sprachen. Während des Gesprächs, glänzten seine Augen vor Freude über die zehntausenden von Kindern, die dank seiner 1994 gegründeten Organisation ‚Obrazovanje Gradi BiH‘ (Bildung baut Bosnien & Herzegowina) Unterstützung erfahren haben. Sie sanken in ein Meer tiefer Trauer über ihre Armut und Ausgrenzung.
Ich hielt dieses Gespräch mit einem freundlichen, doch auch reservierten älteren, kleineren Mann, der mir über seinen großen Holzschreibtisch hinweg viele alte Fotografien zeigte. Erst beim Anblick seiner vielen Auszeichnungen, wie bspw. von der französischen Ehrenlegion oder für seine Friedensarbeit, erahnte ich, mit einer lebenden Legende zu sprechen. Natürlich eignet sich diese hervorragend als Projektionsfläche; für Glorifizierung und Dämonisierung. Sowohl die, die in ihm einen Verräter am serbischen Nationalismus sehen als auch die, die ihn als Held betiteln und vielleicht verklären, projizieren Hoffnung, Schmerz, Traumata, Ängste und Ziele auf ihn.
Dies konnte man zuletzt im März 2011 erleben, als er am Wiener Flughafen aufgrund eines serbischen Haftbefehls wegen angeblicher Kriegsverbrechen im Rahmen des Dobrovaljacka-Falls festgenommen wurde[4]. Nachdem er zunächst auf Kaution freigelassen wurde, lehnte Österreich schlussendlich den serbischen Auslieferungsantrag mit der Begründung ab, dass Divjak in Serbien keine faire Verhandlung erwarten könne, und generell die Beweislast unzureichend war. Letzteres basierte auf derselben Entscheidung des International Tribunal for Former Yugoslavia (ICTY)[5].
Bosnier:innen sahen den Haftbefehl als politisch motiviert und so hatten sich insbesondere junge Menschen zu friedlichen Demonstrationen versammelt um seine Freilassung zu fordern und ihren Unmut über handlungsunwillige bosnische Politik zu äußern. Diesen Unmut teile Jovo, der sich im Gegensatz zu den meisten sogenannten Kriegshelden nicht in politische Ämter stürzte, sondern sich im Ruhestand aus Protest gegenüber der desillusionierenden und radikalisierenden post-Konflikt Politik zurückzog. Trotzdem suchte ich vergeblich nach Härte und Frustration in seinen Augen, da war eher Traurigkeit und der unsterbliche Kampfgeist „Frieden, Liebe und Toleranz“[6] unter den Bosnier:innen wieder Realität werden zu lassen.
Sein Idealismus war authentisch und keine politische Rhetorik. Seine Liebe zu Sarajevo, Bosnien-Herzegowina und ihren Menschen war von Herzen, wenn auch bodenständig und unprätentiös gelebt. Eine bosnische Freundin beschrieb ihn auf Facebook als Beweis, „dass damals nicht alle zu Monstern wurden“, dass es nun an ihnen wäre, sein Licht der Menschlichkeit den konservativen, ethno-nationalistischen Kräften entgegenzusetzen und die Utopie des Miteinanders Wirklichkeit werden zulassen. Und, dass das ginge, zeige er ja am besten, der eben kein Übermensch, keine politische Gallionsfigur sondern einfach Onkel Jovo war.
Quellen:
[1] http://www.sarajevotimes.com/general-jovan-divjak-died-in-sarajevo-at-the-age-of-84/
[2] https://taz.de/Ueberfall-auf-Jugoslawien-vor-80-Jahren/!5758935/
[3] Ebd.
[4] https://www.boell.de/de/navigation/aussen-sicherheit-jovan-divjak-dobrovoljacka-11415.html
https://www.diepresse.com/640531/divjak-bosnien-und-serbien-stellen-auslieferungsantrag?from=gl.home_politik
[5] https://balkaninsight.com/2021/04/09/bosnia-mourns-general-divjak-defender-of-sarajevo/
[6] https://balkanblogger.com/2015/01/04/jovan-divjak-ich-wunsche-mir-frieden-liebe-toleranz/
Foto: http://www.sarajevotimes.com/general-jovan-divjak-died-in-sarajevo-at-the-age-of-84
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