Der Wald war jeher ein wichtiger Teil des Lebens in den baltischen Staaten. Daher ist es kaum verwunderlich, dass Estland und Lettland mit je 56% und 57% Waldbedeckung weit über dem EU-Durchschnitt von 40% liegen. Heutzutage ist die Wald- und Forstwirtschaft nicht nur ein wichtiger, sondern auch ein umstrittener Wirtschaftszweig.

Die wirtschaftliche Nutzung des Waldes trägt einen nennenswerten Teil des BIPs bei. Zum einen spielen dabei direkte die Ressourcengewinnung- und Verarbeitung eine Rolle. Gerade die Produktion von Pellets und Holzprodukten ist ein lukratives Geschäft, das vermutlich durch den Anstieg der Energiepreise einen weiteren Aufschwung erfahren wird. Zum anderen wird der Wald zunehmend auch für touristische Zwecke genutzt. Hier kann vor allem das Projekt «Baltic Forest Trail», der Besucher auf einem 1 060 km Weg von Riga nach Tallinn führt genannt werden. Es ist daher kaum verwunderlich, dass es spezialisierte Bildungsangebote unter der Form von Fakultäten und Studiengänge für diesen Bereich gibt. In Lettland werden Staatswälder durch eine Aktiengesellschaft bewirtschaftet. Damit sollte der Einfluss der Korruption eingedämmt und die Effizienz gesteigert werden. An diesem Vorgehen gibt es jedoch Kritik, da Wälder nicht nur wirtschaftlich, sondern auch kulturelle eine wichtige Rolle spielen.

Die Menschen fühlen sich oft tief verbunden zu der Natur. Das zeigt sich an der Zeit, die im Wald verbracht wird: es werden nicht nur Beeren und Pilze gesammelt, sondern auch Feste wie die Sommersonnenwende finden oft traditionell auf dem Land statt. Des Weiteren ist der Wald ein wiederkehrendes Motiv in den Mythen, den Volksgesängen, der Literatur und der Malerei. Besonders bekannt sind dabei heilige Bäume wie die Birke, die auch auf dem Lats Schein (lettische Währung) erschien. Im Laufe des 20. Jahrhunderts kamen zudem heidnische Bewegungen wie Maausk in Lettland wieder auf. Dies geschah als Oppositionsbewegung gegen die Besetzung durch fremde Mächte. Dadurch ist der Wald Teil des täglichen Lebens und der Identität.

Es besteht daher ein Interessenskonflikt zwischen der wirtschaftlichen Nutzung und seiner gesellschaftlichen Bedeutung in den baltischen Staaten. Nicht zuletzt spielen auch Gedanken an die ökologischen Folgen eine wichtige Rolle. Auf der einen Seite besteht natürlich ein Interesse, diese Ressource für die lokale Wirtschaft zu nutzen. Auf der anderen Seite ist jedoch der Wald auch ein Teil der Identität, der nicht verkauft werden sollte. Entsprechend steht die Politik immer wieder vor komplexen Problemen und Abwägungen.

 

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