Nur ein halbes Jahr konnte die HDZ-Most-Koalition bestehen. Partei-interne und -externe Streitigkeiten sowie eine Korruptionsaffäre führten das Land in eine tiefe politische Krise.

Zagreb. Kroatien brachte im November 2015 Parlamentswahlen hinter sich. Der Wahlkampf war von einer stagnierenden Wirtschaft, Nationalismus und der Debatte um Flüchtlinge gekennzeichnet. Die bisherige Regierungspartei, das Bündnis „Kroatien wächst“ unter der Führung der Sozialdemokraten (SDP), musste sich dem Zusammenschluss national-konservativer Parteien zur „Patriotischen Koalition“, angeführt von der Kroatischen Demokratischen Union (HDZ), hauchdünn geschlagen geben. Der entscheidende Faktor zur Regierungsbildung wurde jedoch die drittplatzierte Partei Most (Brücke). Ursprünglich 2012 als politische Plattform gegründet, hatte sich die Brücke unabhängiger Listen steigender Beliebtheit erfreut – vor allem, weil sie sich als Alternative zu den etablierten Parteien positionierte und für dringend notwendige Reformen innerhalb des Landes eintrat.

Die Hoffnungen der Wählenden auf frischen Wind durch die Reformbewegung Most zerschlugen sich jedoch schnell. Durch die im kroatischen Sabor (Parlament der Republik Kroatien) nach der Wahl gegebene Mandatsverteilung (HDZ 59, SDP 56, Most 19) wurde augenscheinlich, dass der Brücke eine entscheidende Rolle zukommen werden würde. Jedoch bei der ersten streitbaren Frage, ob und für welche Partei Most als Koalitionspartner zur Verfügung stehe, zerbrach die Brücke-Führung in zwei Lager. Bereits nach wenigen Tagen wurde an der Spitze Drago Prgomet von der Partei ausgeschlossen, nachdem er bei eigenständigen Verhandlungen mit der SDP gesichtet worden war. Aus diesem innerparteilichen Machtkampf ging der dem rechten Flügel der Brücke zuordenbare Božo Petrov als Sieger hervor. Schlussendlich konnten sich die pro-Regierungsteilnehmer durchsetzen und nach zähen Verhandlungen, welche erstmals live im Internet mitverfolgt werden konnten, wurde Ende Dezember 2015 eine Lösung gefunden: Tomislav Karamarko, Chef der HDZ, und Petrov einigten sich auf den parteilosen und in der Politik eher unbekannten Pharma-Manager Tihomir Orešković aus der kanadischen Diaspora als Premierminister, der durch die Unterstützung von HDZ und Most mit der Regierungsbildung beauftragt wurde.

Im Juni 2016, und somit nur sechs Monate später, hat sich die Regierung selbst auseinandergenommen. Das Szenario, dass im November und Dezember von vielen Seiten verhindert werden sollte, ist nun unausweichlich – Neuwahlen. Von Beginn an stand diese Koalition unter keinen guten Voraussetzungen, denn Most trat für notwendige Reformen in der Verwaltung, Justiz, Bildung, Gesundheit sowie im Steuerbereich ein. Der Status quo in Kroatien kann in vielen Bereichen jedoch auf die HDZ zurückgeführt werden, denn diese hatte die Politik seit der Unabhängigkeit lange Zeit geprägt. Konfliktpotenzial war somit von Anfang an gegeben.

Die tatsächliche Regierungskrise eröffnete sich schließlich, als Vize-Premier Karamarko durch die Korruptionsaffäre seiner Frau rund um weitere Verkäufe des kroatischen Erdölunternehmens Ina an das ungarische Unternehmen Mol, immer mehr unter Druck geriet. Oppositionsführer Zoran Milanović von der SDP beantragte ein Misstrauensvotum, an dem auch der kleine Koalitionspartner Most Gefallen fand. Im Zuge dessen legte Premier Orešković den beiden streitenden Chefs der Regierungskoalition den Rücktritt nahe. Dies veranlasste die HDZ zum Gegenangriff und unter der Führung von Karamarko wurde am 7. Juni 2016 ein Misstrauensantrag gegen Orešković eingeleitet. Eine Woche später fand das politische Chaos in Kroatien einen vorläufigen Höhepunkt: Karamarko trat am 15. Juni als Vize-Premier zurück, nachdem eine parlamentarische Kommission verlautbarte, dass es im Zuge des Mol-Ina Falls zu einem Interessenskonflikt gekommen war. Am Tag darauf setzte das Parlament Premierminister Orešković mit 125 von 151 Stimmen ab. Die Suche der HDZ, aber auch der oppositionellen SDP, für eine neue Mehrheit im Parlament verlief nur kurz – und erfolglos. Nachdem sich bereits die kroatische Präsidentin Kolinda Grabar-Kitarović (HDZ) für Neuwahlen ausgesprochen hatte, wurde am 20. Juni das Parlament mit 137 befürwortenden Stimmen aufgelöst und der Weg für einen neuerlichen Urnengang freigegeben.

Im Zuge dieser tiefen politischen Staatskrise musste auch der ursprüngliche Auslöser der Selbstzerfleischung seine Position aufgeben: Obwohl Karamarko als Parteiführer der HDZ nach dem Misstrauensvotum gegen Orešković noch mit einer möglichen Mehrheit zur Regierungsbildung geblufft hatte, war sein Streben zur Machterhaltung am Tag nach der Parlamentsauflösung zu Ende. Der freiwillige Rückzug von Karamarko kam einer eventuellen unfreiwilligen Ablöse zuvor, auch weil sich die HDZ dadurch wieder bessere Chancen bei den Neuwahlen erhofft. Was bleibt, ist ein politisches Vakuum im jüngsten EU-Mitgliedsstaat: Die Brücke dürfte sich ihre Vorschusslorbeeren verspielt haben, die HDZ wird sich neu aufstellen müssen und die oppositionelle SDP, vorerst unverändert unter Milanović, könnte von diesen Streitigkeiten der Koalitionspartner profitieren. Bleibt abzuwarten, wie sich diese politischen Machtkämpfe auf die ohnehin schon unter großer Politverdrossenheit leidende Bevölkerung auswirken werden. Nun steht innerhalb eines halben Jahres erneut ein Wahlkampf bevor. Der wahrscheinlich im September stattfindende Urnengang könnte richtungsweisend für Kroatien sein.

 

Bildquelle: http://www.slobodna-bosna.ba/img/vijesti/2016/06/petrov-karamarko-oreskovic-f728e44ed6946c0043fbaf5b143830c7.jpg