„Freedom, Love und Hope“ – Novi Sadi 2022


„Rainbow“, „Freedom“, „Love“ und „Hope“ – das sind die Namen der Brücken, die das Konzept der serbischen Stadt Novi Sad für die Europäische Kulturhauptstadt 2022 bilden. Die vier Begriffe stehen für die Werte, die die Stadt umsetzen will, wie beispielsweise Diversität, interkultureller Dialog und Umweltbewusstsein.[1] Eine ehemalige Färberei für Seide ist einer der neu geschaffenen Orte, an denen nun Kunst gezeigt wird.[2] Dort trat im Juni 2021 der inklusive Chor ISON auf, der Teil der Brücke „Hope“ ist[3], um einen Vorgeschmack auf das kommende Jahr zu geben.

Für jeweils ein Jahr können bis zu drei europäische Städte oder Regionen den Titel „Europäische Kulturhauptstadt“ tragen. Die Reihenfolge der Länder, die eine Kulturhauptstadt stellen, wird viele Jahre vorher festgelegt. Sechs Jahre vor dem eigentlichen Titeljahr, bewerben sich dann verschiedene Städte des Landes um den Titel. Dies setzt die Entwicklung eines Konzepts voraus, das für das ganze Jahr kulturelle Veranstaltungen vorsieht. Letztendlich entscheidet eine Jury über die Bewerbung. Um die Jury zusammenzustellen, bestimmt die Europäische Kommission einen Expertenpool aus dem das Europäische Parlament, der Rat der Europäischen Union, die Europäische Kommission sowie der Ausschuss der Regionen Expert*innen auswählen, die die Jury bilden.[4] Wann und warum wurde das Programm „Kulturhauptstadt Europas“ jedoch entwickelt?

Zu Beginn der europäischen Integration spielten kulturelle Aspekte kaum eine Bedeutung. Im Gegenteil, die Integration war durch einen technokratischen und bürgerfernen Stil geprägt. Dies änderte sich im Laufe der 1970er Jahre und nahm in den 1980ern an Fahrt auf. Im Jahr 1984 wurde der sogenannte Adonnino-Ausschuss unter Leitung des Europaparlamentariers Pietro Adonnino eingesetzt, um Maßnahmen zu entwickeln, die „Europa“ den Bürgern näherbringen sollte. Dazu gehörte auch das Konzept einer „Kulturstadt[5] Europas“[6], das Melina Mercouri als griechische Kulturministerin 1983 erstmals vorgestellt hatte.[7] Die Entstehung des Programms „Kulturhauptstadt“ ist somit eng mit der Entstehung einer europäischen Kulturpolitik der Europäischen Gemeinschaften[8] verbunden.[9] Im Jahre 1985 wurde das Projekt „Kulturstadt Europas“, mit Athen als Titelträgerin, erstmal durchgeführt.

Ziel des Konzeptes „Kulturhauptstadt Europas“ ist es, den Dialog zwischen den europäischen Kulturen zu fördern. Es sollen sowohl die charakteristischen Besonderheiten als auch die Gemeinsamkeiten der Kultur der Städte gezeigt werden, um das Zugehörigkeitsgefühl zu einem gemeinsamen, europäischen Kulturraum zu stärken.[10] Dem Kulturprogramm muss daher eine starke europäische Dimension zugrunde liegen. Außerdem soll die langfristige, strukturelle Entwicklung der Städte gefördert werden, indem vermehrt kulturelle Veranstaltungen angeboten werden und die Teilhabe an Kultur ermöglicht wird. Die titeltragende Stadt wird durch die EU über das Programm „Kreatives Europa“ finanziell gefördert. Jede Stadt bekommt 1,5 Millionen Euro als Preisgeld durch den Melina-Mercouri-Preis,[11] dies macht im Durchschnitt jedoch nur 1,8 % des Gesamtbudgets aus, das für die Umsetzung des Programms benötigt wird.[12] Die Verbesserung des Images und die Erhöhung des Umsatzes durch gesteigerten Tourismus spielen neben einem langfristigen Strukturwandel eine entscheidende Rolle.[13] Dies birgt auch die Gefahr der Instrumentalisierung. So legte die Stadt La Valletta im Jahr 2018 laut Ulrich Fuchs einem ehemaligen Mitglied der Auswahljury, ihren Fokus zu sehr auf den Imagegewinn.[14]

Erstmals im Jahr 2000 trugen mit Krakau und Prag zwei Städte aus Mittelost-bzw. Südosteuropa den Titel (mit Ausnahme Griechenlands). Das Jahr 2000 markierte ohnehin ein besonderes Jahr für das Programm der „Kulturhauptstadt Europas“, da insgesamt neun Städte den Titel gleichzeitig trugen. Einerseits weil sich die Jury nicht auf ein bzw. zwei Städte einigen konnte, andererseits wegen der großen Bedeutung der Jahrtausendwende, wurden alle Bewerbungen für dieses Jahr angenommen.[15] Im Jahr 2005 wurde die beschlossene Reihenfolge der Länder abgeändert, um den neu zur Europäischen Union beigetretenen Mitgliedsstaaten die Möglichkeit zu geben, ebenfalls eine Kulturhauptstadt Europas zu stellen. Es wurde außerdem festgelegt, dass immer eine west- und eine osteuropäische Stadt den Titel gleichzeitig tragen sollten.[16]

Die Initiative „Kulturhauptstadt Europas“ legt ihren Fokus stark auf die EU. Trotzdem wurde das Konzept leicht geöffnet, so dürfen sich mittlerweile auch europäische EU-Beitrittskandidaten und potenzielle Beitrittskandidaten sowie Länder der EFTA (Europäische Freihandelsassoziation) für den Titel bewerben.[17] Mit dem serbischen Novi Sad wird 2022 eine Stadt aus einem EU-Beitrittskandidaten Kulturhauptstadt Europas. Geplant war, dass Novi Sad den Titel im Jahre 2021 trägt, durch die Covid-19 Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen wurde die Reihenfolge der Titelstädte angepasst. In der Bewerbung Novi Sads spielen Menschenrechte, Frieden und interkultureller Dialog eine große Rolle.[18] Auch das Thema Aussöhnung und Frieden sind wichtige Aspekte. So sind z.B. Pläne, mit der kroatischen Stadt Osijek zu kooperieren ebenfalls Teil des Konzepts, um den Kroatien-Krieg aufzuarbeiten. Allerdings kritisierte die Jury, dass der Fokus zu sehr auf der Vergangenheit (vergangen Konflikten) liege und nicht auf heutigen Themen. Die Empfehlung lautete daher, dass vermehrt aktuelle Fragen behandelt werden sollten, um zur Versöhnung beizutragen und nicht vergangene Probleme.[19]

Das Konzeptidee Novi Sads zeigt, dass nicht allein Imagegewinn, Umsatzsteigerung durch Touristen und finanzielle Förderung eine Rolle spielt, sondern eine umfassende Weiterentwicklung der Stadt, die sich auch auf die ganze Region auswirkt. Das ursprüngliche Ziel des Programms „Kulturhauptstadt Europas“, den Dialog innerhalb Europas zu fördern wird somit erfüllt. Es ist daher sinnvoll, die Erfüllung der Ziele von Stadt zu Stadt neu zu bewerten und das Programm „Kulturhauptstadt Europas“ weder als reine Marketing-Strategie zu diskreditieren noch unhinterfragt zu bejubeln.

 

Referenzen:

[1] Novi Sad, Programme Concept, URL: https://novisad2022.rs/en/programme-concept/.

[2] Svilara Cultural Station, Cultural content Factory, URL: https://svilara.kulturnestanice.rs/en/.

[3] Svilara Cultural Station, The ISON Choir on Project 22 : Novi Sad has what no other city in the world has, URL: https://svilara.kulturnestanice.rs/en/the-ison-choir-on-project-22-novi-sad-has-what-no-other-city-in-the-world-has/.

[4] Amtsblatt der Europäischen Union, Beschlüsse, Beschluss Nr. 445/2014/ EU DES EUROPÄISCHEN PARLAMENT UND DES RATES vom 16. April 2014.

[5] Bis Mai 1999 wurde das Programm offiziell „Kulturstadt Europas“ genannt. Dann folgte ein Beschluss, die Bezeichnung „Kulturhauptstadt“ offiziell zum Jahr 2005 einzuführen. Aber auch schon vor 1999 war die Bezeichnung „Kulturhauptstadt“ erlaubt. Siehe: Mittag, Jürgen: Die Idee der Kulturhauptstadt Europas. Anfänge, Ausgestaltung und Auswirkungen Europäischer Kulturpolitik, Essen 2008, S. 9, Fußnote 1.

[6] Bericht des Ausschusses für das „Europa der Bürger“ an den Europäischen Rat von Mailand (Mailand 28.-29.6. 1985). In: Bulletin der Europäischen Gemeinschaften. 1985, n° Beilage 7/85, S. 6, URL: https://www.cvce.eu/de/obj/bericht_des_ausschusses_fur_das_europa_der_burger_an_den_europaischen_rat_von_mailand_mailand_28_29_juni_1985-de-b6f17ee2-da21-4013-9573-c2b159f86ff5.html.

[7] Mittag, Jürgen: „Kulturhauptstadt Europas.“ Eine Idee – viele Ziele – begrenzter Dialog. Das Programm „Kulturhauptstadt Europas“ und die Kulturhauptstädte des Jahres 2010 in diachroner und synchroner Perspektive, S. 62.

[8] 1993 wurde die Europäische Union (EU) geschaffen (Vertrag von Maastricht) und 2009 wurden die Europäischen Gemeinschaften aufgelöst und in die EU integriert (Vertrag von Lissabon).

[9] Mittag, Jürgen: Die Idee der Kulturhauptstadt Europas. Anfänge, Ausgestaltung und Auswirkungen europäischer Kulturpolitik, 2008, S. 10.

[10] Mittag, Jürgen: „Kulturhauptstadt Europas.“ Eine Idee – viele Ziele – begrenzter Dialog, S. 60.

[11] Creative Europe Desk, Kultur, Die nationale Kontaktstelle für die Kulturförderung der EU, Förderung, Kulturhauptstadt Europas, URL: https://kultur.creative-europe-desk.de/foerderung/sondermassnahmen/kulturhauptstadt-europas.html.

[12] Baier, Nikolaj; Scheytt, Oliver: Kulturhaupstadt. In: Lewinski-Reuter, V.; Lüddemann, S. (Hrsg.): Glossar Kulturmanagement, Wiesbaden 2011, S. 152.

[13] Mittag, Jürgen: „Kulturhauptstadt Europas.“ Eine Idee – viele Ziele – begrenzter Dialog, S. 65.

[14] Fishman, Robert B.: Sinn und Unsinn von Kulturhauptstädten, Deutschlandfunk Kultur 23.9.2020, URL: https://www.deutschlandfunkkultur.de/kreatives-europa-sinn-und-unsinn-von-kulturhauptstaedten.976.de.html?dram:article_id=484587.

[15] Mittag, Jürgen: „Kulturhauptstadt Europas.“ Eine Idee – viele Ziele – begrenzter Dialog, S. 66.

[16] Ebd. S. 67.

[17] European Commission, Culture and Creativity, European Capitals of Culture, URL: https://ec.europa.eu/culture/policies/culture-cities-and-regions/european-capitals-culture.

[18] Novi Sad European Capital of Culture 2021, Second Monitoring Meeting, Report by the ECOC Expert Panel, Timisoara, June 2029, S. 5, URL: https://ec.europa.eu/culture/sites/default/files/ecoc-2021-novi-sad-second-monitoring-report.pdf. Siehe auch: Novi Sad, Programme Concept, URL: https://novisad2022.rs/en/programme-concept/.

[19] The European Capital of Culture in 2021 in candidate countries and potential candidates for membership of the EU, The Selection Panel’s report, Final report, Brussels November 2016, S. 13., URL: https://ec.europa.eu/culture/sites/default/files/files/ecoc-2021-final-selection-report_en.pdf.