Als Willy Brandt, unter grossem Widerstand, seine neue Ostpolitik in den 70er Jahren umsetzte, tat er dies – neben weltpolitischem und wirtschaftlichem Pragmatismus – mit einer grossen Portion politischer Überzeugung. Es war eine klare Abkehr von all den früheren Ansätzen. Das erste Mal in der Geschichte der deutschen Ostpolitik stand nicht die Gleichgewichts- oder Expansionspolitik, sondern die versöhnliche Annäherungspolitik auf Augenhöhe im Fokus.

Trotz der grossen Skepsis in vielen Ländern im damaligen Ostblock, welche die Aggressionspolitik des Deutschen Reichs noch vor Augen hatten, blieben die versöhnlichen Bemühungen der Brandt-Regierung nicht unbeachtet. Dies führte bis anhin zu neuen diplomatischen Beziehungen und weiteren Kooperationen, soweit es der Ost-West Konflikt erlaubte. Es war somit der deutschen Regierung gelungen, sich als zuverlässiger Partner mit konstruktiven Auswirkungen bis zum Zusammenbruchs der Sowjetunion anzubieten. Auch danach wurde Deutschland nicht als Gefahr, sondern als wichtiger Faktor für den Transformationsprozess zu demokratischen Strukturen in einem gesamteuropäischen Kontext gesehen.

Historisch betrachtet, muss diese östliche Annäherungspolitik Deutschlands als grosse Leistung betrachtet werden, weil sich Deutschland aus der Position des Drohenden hin zum verlässlichen Partner für Osteuropa entwickelte. Dies war zum Teil nur möglich, weil die damalige Ostpolitik auch aus einer Politik der Überzeugung betrieben wurde – Deutschland war sich der historischen Verpflichtung bewusst.

Doch in den letzten Jahren scheint es, als würde das Misstrauen im mittel- und südosteuropäischen Raum gegenüber Deutschland wieder aufkommen. Die wirtschaftliche Stärke Deutschlands verursacht gewisses Unbehagen. In der Tat, war und ist das deutsche Verhalten gegenüber gewisse Länder mit staatshaushälterischen Problemen nicht von grossem Glanz gekrönt. Zu sehr wurde und wird auf der finanzpolitischen Geige herumgespielt. Die gesellschaftspolitischen Aspekte werden vernachlässigt.

Wieder einmal hat Deutschland eine gewisse Verpflichtung, doch dieses Mal scheint es, dass es damit nicht umgehen kann, weil es an politischen Überzeugungen fehlt. Die Bundesrepublik vertrocknet zu einem rein finanzwirtschaftlichen Verwaltungsgebilde. Aber gerade jetzt bräuchte Europa ein Deutschland, das sich der europäischen Idee verpflichtet und das eben auch unabhängig von finanzpolitischem Kalkül.

Folglich ist es Zeit, dass Deutschland eine neue Ostpolitik umsetzt, die auf die Intensivierung von Kooperation und Respekt baut. Eine Ostpolitik, die gesellschaftspolitische Perspektiven anbietet, um den Ländern mit sozialen, politischen und wirtschaftlichen Problemen aufzuzeigen, dass Deutschland sich für sie einsetzt. Und ja, eine Ostpolitik, die auch sicherheitspolitische Komponente beinhaltet, um Krisen europäisch zu lösen. Doch um eine erfolgreiche und glaubwürdige Ostpolitik einzusetzen, muss sie auf politische Überzeugungen beruhen. Dabei kann es nicht schaden, wenn sich die Merkel-Regierung auf Willy Brandt zurückbesinnen könnte und daraus etwas lernen würde.

 

Bildquelle: http://www.spiegel.de/einestages/willy-brandt-in-warschau-a-946886.html