Wie bereits in einem früheren Beitrag beschrieben (i) gehörte Kaliningrad lange zu Deutschland, bevor das Gebiet Teil der UdSSR und später eine russische Exklave wurde. Durch diese internationale Vergangenheit und die geopolitische Position als russische Exklave befindet sich die Region im Spannungsfeld russischer und mitteleuropäischer politischer Entwicklungen. Es stellt sich daher die Frage, wie Deutschland und Russland diese Region sehen.

 

Deutschlands Verständnis von Kaliningrad

Das deutsche Verständnis von Kaliningrad ist oftmals durch das Gespenst der Erinnerung an Königsberg geprägt, was unter anderem daran liegt, dass Deutsche und allgemein Ausländer in der Zeit der UdSSR keinen Zutritt zu der damaligen Militärzone hatten (ii). Königsberg war für Preussen eine wichtige Stadt, in der unter anderem Friedrich der Erste zum ersten König in Preussen gekrönt wurde (iii). Besonders die Architektur dieser Stadt wurde gerühmt (iv). In der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts spielte das Gebiet ausserdem eine wichtige Rolle in der deutschen Propaganda (v).

Die Besetzung von Königsberg durch die Rote Armee sowie die Integration von Kaliningrad in die UdSSR führte zu schwierigen Beziehungen mit der deutschen Bevölkerung. Der Grossteil emigrierte zügig in Folge dieser Geschehnisse und wurde nach und nach durch sowjetische Immigration ersetzt (vi). Zwar gab es auch eine Immigration von ethnisch-deutschen Familien aus Zentralasien und anderen Regionen der Sowjetunion doch lebten diese verteilt und bildeten keine Gesellschaft (vii). Entsprechend kam es nie zu nennenswerten ethnischen Konflikten, da schlicht wenig Deutsche nach 1945 in dem Gebiet lebten.

1990 verzichtete Deutschland offiziell auf alle territorialen Ansprüche im Rahmen des deutsch-sowjetischen Vertrags vom 9. November in Moskau. Durch die Öffnung von Kaliningrad für internationale Touristen reisten zwar einige Deutsche mit nostalgischen Motiven in die Region, doch entstanden hier keinerlei territoriale Ansprüche. Gegensätzliche Bestrebungen wurden in Deutschland sehr kritisch beäugt, da sie oft mit rechtsextremistischen Kreisen und Neonazis in Verbindung gebracht wurden (viii).

Für Deutschland ist Kaliningrad daher zwar historisch wichtig aber wird keinesfalls als Teil des heutigen Deutschlands angesehen und wird als vollumfänglich als russisch anerkannt.

 

Russlands Verständnis von Kaliningrad

Bereits zwei Jahre vor der Integration Kaliningrad in die UdSSR, meldete Stalin territoriale Ansprüche über Kaliningrad an und 1945 stimmte das Potsdamer Abkommen der Integration von Kaliningrad in die UdSSR schlussendlich zu (ix). Seitdem ist Kaliningrad ein Teil der UdSSR und Russlands.

Das Interesse der Region hatte zunächst ideologische Gründe, da Königsberg für Deutschland, der Feind im Krieg, eine wichtige historische Bedeutung hatte und durch die sowjetische Propaganda als eine Hochburg des Nationalsozialismus dargestellt wurde. Die sowjetische Regierung plante daher die Zerstörung aller Gebäude und Monumente, die an Preussen erinnern könnten und deren Ersetzung durch sowjetische Bauten. Dieser Plan wurde allerdings nie komplett umgesetzt, da der Wiederaufbau der Region schon massiv Ressourcen verschlang. Strassen und Plätze wurden neu benannt. Insgesamt nahm der Elan der Ersetzung von Preussen durch den Sowjetischen Geist in den 1950er aus Pragmatismus ab (x).

Des Weiteren spielten wahrscheinlich auch strategische Aspekte eine Rolle. Die deutsche Exklave wurde 1941 genutzt, um einen Angriff auf die UdSSR zu starten (xi). Daher war diese geographische Situation ein Risiko für die UdSSR. Des Weiteren liegt Kaliningrad an der Via Hanseatica und bietet Zugang zum Meer (xii). Zu Zeiten der UdSSR wurde die Region zu einem abgeschotteten militärischen Stützpunkt (xiii).

Durch den Zerfall der UdSSR wurde Kaliningrad zu einer russischen Exklave. Dadurch rückten politische Verhandlungen rund um Grenzbelange in den Vordergrund, besonders durch die EU-Erweiterung (xiv). Kaliningrad war bis 1996 eine freie Handelszone und wurde dann in eine spezielle Handelszone umgewandelt (xv). Diese Öffnung sollte keinesfalls eine Annäherung an Deutschland sein, sondern zu einer Internationalisierung führen (xvi). Dadurch war die Region ein wichtiger Handelsplatz und ein attraktiver Industriestandort. Durch die gesenkten Zölle in ganz Russland sowie die EU-Erweiterung verschwand dieser Vorteil jedoch nach und nach (xvii). Im Gegensatz zu der spezifischen Aussenpolitik, ist Russlands Innenpolitik auf das ganze Land ausgelegt, wodurch regionale Spezifitäten weniger beachtet werden können (xviii).

Russland versteht daher Kaliningrad als Teil seines Landes und übt Souveränität über die Region aus.

 

Fazit

Für Deutschland hat Kaliningrad rein historischen Wert aber ist nicht teil des heutigen Gebietes. Für Russland ist der Oblast hingegen eine wichtige Region. Die Grenzgegebenheiten führen regelmässig zu Spannungen und Kaliningrad wird deshalb manchmal sogar als «Jerusalem des Baltikums» bezeichnet (xix).

 

Wortzahl: 880

Quellen:

i FOMOSO. (2022). Kaliningrad: Geschichte der territorialen Zugehörigkeit.
ii Hoppe, R. (2000). Auf den Trümmern von Königsberg: Kaliningrad 1946-1970. (Schriftreihe der Vierteljahrshefte für Zeitgeschichte Band 80). R. Oldenbourg Verlag: München. Abgerufen unter: https://books.google.lv/books?hl=de&lr=&id=WxjnBQAAQBAJ&oi=fnd&pg=PT5&dq=kaliningrad+history&ots=PVZjARNn9o&sig=bSvcacVLbxQOikqTiTyrQxrzSyQ&redir_esc=y#v=onepage&q=kaliningrad%20history&f=false
iii (Zieliński, 2018) & Alicheva-Himy, B. (2003). Kaliningrad/Königsberg. Outre-Terre, 3(4), S. 124-148. Abgerufen unter: https://www.cairn.info/revue-outre-terre1-2003-3-page-124.htm
iv (Hoppe, 2000)
v (Zieliński, 2018)
vi (Hoppe, 2000; Zieliński, 2018)
vii Vendina, O.i., Gritsenko, A.A., Zotova, M.V. & Zinovyev, A.S. (2021). Identity of Kaliningraders: influence of Social Beliefs on the Choice of Self-Identification. Regional Research of Russia, 11, S. 533-542. Abgerufen unter: https://link.springer.com/article/10.1134/S2079970521040195#citeas
viii (Alicheva-Himy, 2003)
ix (Hoppe, 2000)
x (Zieliński, 2018)
xi (Hoppe, 2000)
xii Sebentsov, A. & Zotova, M.V. (2013). Geography and economy of the Kaliningrad region: limitations and prospects of development. Baltic Region, 4(4), S. 81-94. Abgerufen unter:
3
https://www.researchgate.net/publication/272770855_Geography_and_economy_of_the_Kaliningrad_region_limitations_and_prospects_of_development
xiii (Hoppe, 2000)
xiv (Alicheva-Himy, 2003)
xv (Alicheva-Himy, 2003) & Kronenfeld, D.T. (2010). Kaliningrad in the Twenty-First Century—Independence, Semi-Autonomy, or Continued Second-Class Citizenship? Autonomy, or Continued Second-Class Citizenship. Washington University Global Studies Law Review, 9(1), S. 153-170. Abgerufen unter: https://openscholarship.wustl.edu/cgi/viewcontent.cgi?referer=&httpsredir=1&article=1043&context=law_globalstudies
xvi (Alicheva-Himy, 2003)
xvii (Kronenfeld, 2010)
xviii (Zieliński, 2018; Kronenfeld, 2010)
xix (Alicheva-Himy, 2003) & Oldberg, I. (1998). Kaliningrad: Problems and Prospects. In Kaliningrad: The European Amber Region. Routledge. Abgerufen unter: https://www.taylorfrancis.com/chapters/edit/10.4324/9780429447624-1/kaliningrad-problems-prospects-ingmar-oldberg