Nach Erlangen des  Beitrittskandidatenstatus am 24. Juni 2014 folgen erfreuliche Nachrichten aus Albanien. Das albanische Parlament hat nach 18 Monaten technischer und politischer Verhandlungen den umstrittenen und lang erwarteten Entwurf zur Verfassungsreform am 22. Juli 2016 einstimmig angenommen. Nicht nur von vielen internen Beobachtern sondern auch von Entscheidungsträgern aus der EU, allen voran von der Hohen Vertreterin der EU für Außen- und Sicherheitspolitik Mogherini sowie vom EU-Erweiterungskommissar Hahn, wurde die Annahme des Reformpakets als eine historische Entscheidung bezeichnet. Auch vom Deutschen Auswärtigen Amt ertönten ermutigende und lobende Worte für die Reformanstrengungen in der Justiz. Steinmeier sieht sogar Albanien in den Umbau des Justizapparates einen „Vorreiter in der Region“ (1).

Der Kompromiss zwischen den politischen Lagern, der Demokratischen Partei und der regierenden Sozialisten, ist  positiv zu bewerten. Einen derartigen parteipolitischen Konsens hat es seit dem Bestehen der albanischen Demokratie in den letzten 25 Jahren nicht gegeben. Doch geht man einen Schritt zurück, wird deutlich, dass dieser Kompromiss lediglich durch externen Druck Washingtons und der EU auf die Opposition erreicht wurde. Ohne das Einwirken von außen hätte das Parlament keine verfassungsändernde Mehrheit (93 von 120 Abgeordneten) für die Verabschiedung der Vorlage sichern können.

Wie wichtig dieser Konsens für den politischen und Demokratisierungsprozess ist, lässt sich aus der politische Landschaft Albaniens ableiten. Albanien ist, wie auch viele andere post-kommunistische Gesellschaften Südosteuropas, von einer Kultur der politischen Kompromisslosigkeit gekennzeichnet. Es gehört mittlerweile zur Tradition, das die Opposition die Regierungspartei bei all ihren Vorhaben zu blockieren trachtet. Dies führt zu Verzögerungen im Gesetzgebungsverfahren und politischen Spannungen.

Für die Europäische Union ist die Stärkung und Unabhängigkeit der Judikative ihrer Beitrittskandidaten eine Voraussetzung für die Eröffnung der Beitrittsverhandlungen. Ohne einen funktionierenden Rechtsstaat, in dem der Justizapparat frei von politischem Einfluss operieren kann, ist die gesellschaftliche Ordnung eines jeden Staates bedroht. Der englische Philosoph John Locke wusste bereits 1690 zu deuten, dass „(ü)berall, wo das Gesetz ein Ende findet, fängt die Tyrannei an“ (2).

In einem demokratischen Rechtsstaat ist die Verfassung die Quelle der Legitimationsmacht, die sich aus dem Willen des Volkes schöpft. Anders ausgedrückt kann in einer Demokratie niemand über der Verfassung stehen. Das Gesetz ist König. Doch in Albanien sah die Realität bis vor dem ambitionierten Reformvorhaben in der Justiz ganz anders aus. Einfluss von Oligarchen in die Justiz,  denen oft enge Verbindungen zur organisierter Kriminalität vorgeworfen wird, gehört zum politischen Tagesgeschäft. Bildlich gesprochen gleichen die Gerichtssäle „grauen Krankenhäusern menschlicher Korruption“ (3). Richter sind leicht gegen Korruption anfällig, was dazu führ, dass Geld statt die richterliche Gewalt Recht spricht. Faire Urteile sind nur für jene möglich, die die Kunst der Bestechung beherrschen und die notwendigen finanziellen Mittel zur Verfügung haben.

Rechtssicherheit war in Albanien lange Zeit ein Fremdwort. Für viele ausländische und  einheimische Investoren ist das Risiko zu hoch, um das Wachen über Eigentumsrechte bestechlichen Richtern zu überlassen.  Grund dafür ist die marode Infrastruktur, schwerfällige administrative Prozesse sowie Korruption in der öffentlichen Verwaltung und der Justiz (4). All das soll nach der Reform der Vergangenheit angehören.

 

Verfassungsgericht blockiert das „Vetting-Gesetz“

Ein wichtiger Aspekt der Justizreform in Albanien ist der „Vetting-Prozess“. Der Prozess fusst auf drei wichtige Punkte: 1) die Überprüfung der Fähigkeiten aller Richter und Staatsanwälte 2) die Überprüfung ihrer Einkommensquellen 3) die Feststellung von möglichen Verbindungen zur organisierten Kriminalität. Somit würden rund 800 Richter und Staatsanwälte einen Sicherheitsüberprüfungsprozess durchlaufen müssen und es verwundert nicht, dass Widerstand aus den Reihen der Demokratischen Partei kommt, die von den Sozialisten mehrfach wegen enger Verbindungen zu bestechlichen Richtern und Staatsanwälten beschuldigt wurde. Auch die Betroffenen selbst fürchten die Transparenz, denn sie könnte ihr Vermögen und ihre richterliche Berufung kosten.

Nach Empfehlung der Venedig-Kommission soll der gesamte „Vetting-Prozess“ 3-5 Jahre dauern (5). Die Unabhängigkeit dieses Überprüfungsprozesses soll durch die Errichtung einer Kommission der Ersten Instanz und einer Berufungskammer gewährleistet werden, die außerhalb des ordentlichen Gerichtssystems operiert. Sollte die Kommission am Ende der 3-stufigen Überprüfung zu einem negativen Ergebnis kommen, so können die Richter oder Staatsanwälte entweder unmittelbar entlassen werden, oder ihnen wird die Möglichkeit eingeräumt, sich an der Richterakademie für ein weiteres Jahr fortzubilden.

Doch nun hat das Verfassungsgericht der Klage der Demokratischen Partei, nach der das „Vetting-Gesetz“ verfassungswidrig sei, stattgegeben und das Gesetz vorläufig blockiert, um die Meinung der Venedig Kommission über die Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes einzuholen. Die Umsetzung des „Vetting-Gesetzes“ ist von grundlegender Bedeutung, das Gerichtssystem von korrupten Elementen zu befreien und Richter – die ihre Karriere nicht auf Grundlage ihrer richterlichen Kompetenz sonder durch politische Verbindungen oder finanzieller Gefälligkeiten aufgebaut haben – durch gesetzestreue Richter zu ersetzen.

Die Reform soll dem Rechtssystem einen Kompass geben, Korruption zu bekämpfen und die Judikatur von den Ketten des politischen Einflusses zu befreien. Der Weg dorthin wird ohne Zweifel stürmisch, doch nur so kann das Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz zurückgewonnen werden. Seit der Annahme des Reformpakets besteht große Hoffnung, dass nun die Farben der Gerechtigkeit glänzen und die tief in den Wänden der Gerichtsbarkeit eingesickerte Korruption erstickt.

Eine funktionierende Gerichtsbarkeit würde nicht nur das Vertrauen der Bevölkerung in die Justiz wiederherstellen, sondern hätte auch positive Auswirkungen auf die wirtschaftliche Entwicklung des Landes. Auch wenn manche Ökonomen den Zusammenhang zwischen Rechtsstaatlichkeit und wirtschaftlichen Aufschwung gerne getrennt betrachten, so ist in den meisten westlichen Demokratien diese Wechselwirkung nicht zu verkennen. Der Economist schrieb unter Berufung wirtschaftswissenschaftlicher Studien, dass es einen Zusammenhang zwischen Wohlstand einer Nation und Rechtsstaatlichkeit gibt. Theoretisch ausgedrückt, je solider die Rechtsstaatlichkeit, desto wohlhabender der Staat (6).

Albanien würde in vielerlei Hinsicht von dieser radikalen Reform, wie es der Ministerpräsident ausdrückte, profitieren. Dies kann nur geschehen, wenn es die Politik Ernst meint mit der Bekämpfung von Korruption und die Interessen des Landes über denen einzelner raffgieriger Richter und Politiker stellt.

 

Quellen:

(1) Auswärtiges Amt (2016) „Steinmeier wirbt für Justizreform in Albanien“

(Zugriff am 30.10.2016 )https://www.auswaertiges-amt.de/DE/Aussenpolitik/Laender/Aktuelle_Artikel/Albanien/160614_Albanien.html

(2) John Locke (1690) Zwei Abhandlungen über Regierung. Kapitel XVIII. S.202. http://www.welcker-online.de/Texte/Locke/Locke_2.pdf (Zugriff am 23.10.2016)

(3) Tom Bingham (2011) The Rule of Law. Penguin Books. London. S. 9

(4) John O‘ Brennan and Esmeralda Gassie (2009) „From Stabilisation to Consolidation: Albanian State Capacity and Adatptation to European Union Rules In Journal of Balkan and Near Eastern Studies.“S. 68

(5) Venice Commission, Final Opinion on the Revised Draft Constitutional Amendments on the Judiciary of Albania, 15 January 2016, P. 12 (Zugriff am 31. Oktober 2916 )http://www.venice.coe.int/webforms/documents/default.aspx?pdffile=CDL-AD(2016)009-e

(6) The Economist (2008) „Economics and the Rule of Law. Order in the Jungle.“ (Zugriff am 30 Okt 20116)

Bildquelle: http://www.intellinews.com