Groß und von stattlicher Statur zu sein erlaubt es oftmals, auf ein Gegenüber Eindruck zu machen. Ist man darüber hinaus noch mit etwas Charisma versehen, gilt einem schnell die Aufmerksamkeit. Hat man dann auch noch das Glück, von ehemaligen autoritären Großmeistern gelernt zu haben und versteht man, wie gewisse vorhandene Strukturen am besten zur eigenen Machterhaltung eingesetzt und optimiert werden können, ist der „starke Mann“ [1] schon fast perfekt. Erwähnt sei, dass im Grunde letzteres genügen würde, erstgenannte Attribute jedoch offenbar nicht schaden und aktuell relevant erscheinen.

Von Hybridregimen zur „constrained democracy“

Autoritäre Staatsmänner gibt es in südöstlichen und östlichen (Rand-)Gebieten Europas ja seit geraumer Zeit zu beobachten – man denke nur an Putin in Russland oder Erdogan in der Türkei. Doch deren Machtbestrebungen verlangen – sofern hier noch von Demokratie gesprochen werden kann – schon den Zusatz (semi-)autoritär vor dem Terminus Demokratie, und befinden sich oftmals in demokratischen Grauzonen – also generell gesagt zwischen einer Diktatur und einer Demokratie (Bendel, Croissant und Rüb 2002). Dabei steht eine Debatte im Vordergrund: Wann ist eine Demokratie fair und frei? Sobald es freie Wahlen gibt? Was jedoch, wenn diese Wahlen von einer dominanten Elite bestimmt werden – sei es das Militär oder die Oligarchie? Unter anderem diese Fragen versucht Diamond (2002) in seinem Beitrag Thinking about Hybrid Regimes zu stellen. Besonders schwierig ist hierbei die Unterteilung diverser autoritärer Tendenzen in bestimmte Kategorien. Aufgrund der steigenden Zahl an Demokratien, die als illiberal (Zakaria 2007) bezeichnet werden können, argumentiert Diamond (2002, 25) für weitere Unterteilungen zwischen liberaler Demokratie und politisch geschlossenem Autoritarismus. Im Mittelpunkt stehen hier die sogenannten „ambiguous regimes“, die auch als Pseudodemokratie oder eben Hybridregime bezeichnet werden. Bogaards (2009) unternahm den Versuch, diese hybriden Formen unter der Einbeziehung der Konzepte „defekte Demokratie“ (siehe z.B. Merkel et al. 2003) und „Wahl-Autoritarismus“ (s. Schedler 2006; 2013) zu klassifizieren. Dabei werden sowohl die Demokratie als auch der Autoritarismus als Ausgangspunkte berücksichtigt, um so fünf Analysekategorien zur Identifizierung von Hybridregimen zu schaffen (Bogaards 2009, 410-415).

Aber zurück zum Balkan. Hier haben in den 1990er Jahren Franjo Tuđman in Kroatien und Slobodan Milošević in Rumpf-Jugoslawien mit ihren semi-autoritären Regimen vorgezeigt, wie man den Transformationsprozess zu seinem persönlichen Gunsten nutzen kann. Für das derzeit in der südöstlichen Region beobachtbare Phänomen würde der Begriff der semi-autoritären Demokratie aber zu weit gehen. Informationen zu solchen Systemtransformationen und der sogenannten dritten Demokratisierungswelle finden sich inter alia bei Merkel (1999). Sich im Übergang befindliche Regime, z.B. von Diktatur zu Demokratie, dürfen dabei laut Bogaards (2009, 415) nicht mit Hybridregimen gleichgesetzt werden, denn letztere sind das Produkt einer gescheiterten Transformation zu einer liberalen Demokratie und als ein eigener Regimetyp klassifizierbar.

Diese Anmerkung ist auch für Südosteuropa wichtig, denn eine Systemtransformation fand bereits mit dem Ende des Kommunismus statt – auch wenn das Erbe heute noch nachhallt. Das gegenwärtig beobachtbare Phänomen, und hier im Speziellen am Westlichen Balkan, ist in vielen Teilen geprägt von informellen Machtstrukturen, Klientelismus, Korruption und Affiliation. Typische Charakteristika der politischen Oberaufsicht im Ringen um außenpolitische Legitimation sind ein verbales Befürworten von EU und Reformen, während gleichzeitig Mainstream-Medien kontrolliert, populistische – und wenn vorhanden, auch nationalistische – Geigen gespielt und Vertrauenspersonen in staatlichen Institutionen und Justiz etabliert werden. Im politikwissenschaftlichen Diskurs wurden die südosteuropäischen Länder oft als illiberale Demokratien oder eben auch Hybridregime (Alexander 2008) bezeichnet, kürzlich jedoch besonders für den post-jugoslawischen Raum als „constrained democracies“ (Bieber und Ristić 2012), also zu Autoritarismus tendierende Demokratien, definiert.

Zwischen EU und nationaler Kontrolle

Am Weg zur liberalen Demokratie hatte sich besonders die EU als wichtige Aufseherin des Transformationsprozesses etabliert. Die Aufnahme in die Union – nun bezogen auf die fehlenden westlichen Balkanstaaten – fungierte lange Zeit als Druckmittel. Doch mit den gegenwärtigen inneren und äußeren Schwierigkeiten der EU ist der Erweiterungsprozess ins Stocken geraten. Eine wichtige Rolle spielt die Union jedoch weiterhin als Mediatorin bei bilateralen Auseinandersetzungen oder als Vertreterin wichtiger demokratischer Grundprinzipien. Dabei ist vermehrt zu beobachten, dass europäische Größen mit leeren Versprechungen und schönen Worten ohne darauffolgende Taten leicht zufriedenzustellen sind. Somit bereitet es einem „starken Mann“ keine Schwierigkeiten, pro-EU-Deklarationen mit fragwürdigen und oftmals demokratiepolitisch gefährlichen Machterhaltungsstrategien im eigenen Land zu vereinbaren. Dieses Phänomen veranlasste den Südosteuropa-Experten Florian Bieber (2015a) auch dazu, zehn Regeln für einen modernen Balkanprinzen aufzustellen, welche bei strenger Einhaltung einen Machterhalt garantieren sollen:

1) Wahlen sind immer noch entscheidend, sollten aber besser schon im Vorhinein kontrolliert werden; 2) Medienkontrolle; 3) Förmliche Zustimmung zur EU, während man gelegentlich Zweifel dazu äußert; 4) Antikorruptionskampf als Thema, wobei das Reden hier wichtiger ist als das Handeln; 5) Lösung von nachbarlichen Streitereien bei gleichzeitiger Schaffung von neuen bilateralen Krisen zur Ablenkung von eigenen Problemen; 6) Möglichst viele internationale Freunde zu haben ist hilfreich (s. z.B. hier); 7) Jobs für die eigene Wählerschaft – umso besser, wenn dafür Anhänger der Opposition gehen müssen; 8) Rechtstaatlichkeit ist enorm wichtig, denn die Erschaffung von komplizierten und je nach Bedarf auslegbaren Gesetzen kann ein großer Vorteil sein; 9) Ideologie war gestern, erfolgreicher sind große und wechselbare Themenfelder; 10) Jeder möchte hören, dass es besser wird – das Versprechen reicht.

Ein Beispiel aus diesen zehn Regeln soll herausgegriffen werden, weil dieses im Sommer 2016 stark im Vordergrund gestanden ist. Während man im Zuge des Berlin-Prozesses und der Konferenz in Paris besonders um die Beilegung von bilateralen Streitfragen und Grenzfragen bemüht war, steigert sich die nationalistische Rhetorik jährlich in den Sommermonaten. Dies hat den einfachen Hintergrund, dass in dieser Zeit besonders viele Gedenkfeiern an die Kriege der 90er Jahre stattfinden – mit dem Nebeneffekt, dass jene Feierlichkeiten im Nachbarland genau das Gegenteil an Gefühlen hervorrufen. Dieses Jahr steigerten die anstehenden Parlamentswahlen in Kroatien sowie das von Milorad Dodik angekündigte Referendum in der Republika Srpska diesen Effekt noch weiter. Der Politologe Stefan Aleksic (2016) bezeichnete auf Nachfrage von BIRN jene nationalistische Rhetorik besonders dann als relevant, wenn es ansonsten nicht viel anzubieten gibt.

Exemplare aus der Region

Ein Vorzeigemodell der „starken Mann“-Spezies lässt sich in der Nachbarschaft finden. Viktor Orbán hat es in Ungarn verstanden, eine Demokratie innerhalb der Europäischen Union mit tendenziellen Autoritarismen zu versehen. Der Politologe James Ker-Lindsay zog darum Ungarn und Polen, in dem unlängst ähnliche Entwicklungen zu beobachten waren, als Beispiele heran und twitterte:

Würde man sich nun um erwähnenswerte Vertreter des „starken Mannes“ in Südosteuropa umsehen, fiele der Blick unweigerlich auf Aleksandar Vučić in Serbien, Milo Đukanović in Montenegro oder den früheren Premierminister Mazedoniens Nikola Gruevski. Zusätzlich könnten auch noch Edi Rama in Albanien oder auch Hashim Thaçi im Kosovo genannt werden. Gruevski sei an dieser Stelle hervorgehoben, weil er wegen der von der Opposition veröffentlichten Abhörprotokolle, welche erstmals viele dieser oben genannten Praktiken nachgewiesen haben, im letzten Jahr zurücktreten musste. Aber auch hier zeigt sich, dass ein formeller Rücktritt noch lange nicht die Abkehr von der politischen Bühne und der Macht heißen muss. Die anstehenden Wahlen im Dezember 2016 werden zeigen, ob die Bevölkerung Gruevski trotz der vielzähligen Skandale noch eine Chance gibt.

Was tun gegen die „starken Männer“?

Der Wunsch nach mehr Macht, als einem die reguläre Demokratie liefert, ist historisch betrachtet ein wiederkehrendes Phänomen – auch in Südosteuropa. Das Bild der „Balkan Strongmen“ (Fischer 2007) ist kein unbekanntes. Der erhoffte schlagartige Wandel zur liberalen Demokratie nach dem Ende der Diktaturen blieb vielerorts aus. Darum darf es auch nicht verwundern, dass einige Länder des südöstlichen Europas, die noch in vielen Zügen das sozialistische oder kommunistische Erbe eines autoritären Systems mit sich tragen, sich zurzeit in einer demokratischen Hybridform befinden. Es offenbart sich, dass dies ein Prozess ist, dem ausreichend Zeit eingeräumt werden muss. Das Beispiel Ungarn verdeutlicht, dass auch in einem demokratischen Land Gesetze schnell zum eigenen Gutdünken verändert werden und aus demokratiepolitischer Sicht Schritte rückwärts ebenso stattfinden können. Der Journalist Andreas Ernst (2016, 219) macht auf dieses Phänomen eines möglichen Rückfalls in der demokratischen Entwicklung aufmerksam und sieht vor allem die abhängige Medienlandschaft, eine schwache Justiz und ein parteigestütztes Klientelsystem als Ursachen, die das Fehlen einer starken und korrigierenden Opposition noch verstärken.

Nur wenn der Wandel von innen kommt – und der außenstehende Druck die „starken Männer“ im Zaum hält – wird sich dieser als nachhaltig und erfolgreich erweisen. Besonders eine aktive Zivilgesellschaft ist dabei gefragt. Aber auch hier ist zu differenzieren, denn autoritär orientierte Führungen haben es verstanden, die Zivilgesellschaft mit eigenen Leuten und NGOs zu unterwandern, um sie zu schwächen und Druck zu reduzieren. Zusätzlich wird dieser Sektor sowie die Opposition im Allgemeinen durch die Kontrolle der Mainstream-Medien diffamiert. Am wichtigsten ist es hier, eine reale und unverbrauchte politische Alternative zu bieten, die eben nicht in jene bekannte korrupte Politiker-Reihe fällt und bei der ersten Möglichkeit die gegebene Macht gleichermaßen ausnützt. Der dafür nötige Rahmen sollte durch notwendige Reformen im Zuge der Beitrittsverhandlungen aufbereitet werden – hier ist die Rolle der EU entscheidend, die zuletzt oftmals etwas zu wenig Interesse an tatsächlichen Prozessen und Fortschritten zeigte.

„Starke Männer“ sind oftmals Populisten, die sich als Vertretung des wahren Volkes und als Sprachrohr der Mehrheit definieren, dabei jedoch völlig passiv in ihrem Handeln bleiben (Müller 2016, 42-47). Eben jene Popularität und die (angebliche) Zustimmung der Mehrheit muss durchbrochen werden, meint abermals Prof. Bieber (2015b) in seiner Anleitung zur Bekämpfung der „starken Männer“ am Balkan. In den Notizen für die Opposition sind im Weiteren folgende Aspekte angeführt: Effektiv ist besonders der Nachweis des Betrugs, Korruption und dergleichen, wie sich u.a. bei Gruevski zeigte. Die Rückeroberung des öffentlichen Raums (Medien etc.) und der politischen Debatte muss erfolgen, dabei ist zentral, gewinnbringende Themen zu wählen. Die internationale Legitimation als „einzig wahrer Garant für Sicherheit“ und Fortschritt, wie man sie am besten am Beispiel von Đukanović sehen kann, muss herausgefordert werden. Eine Alternative muss geboten werden, denn niemand braucht einen weiteren korrupten Politiker – da vertraut man lieber auf den Bekannten. Netzwerke und Unterstützung quer durch Ethnien und sozialen Klassen helfen, da die „ethnische Karte“ nur allzu oft von den Prinzen erfolgreich eingesetzt wird; und am wichtigsten bleibt, zu guter Letzt, der Gewinn von Wahlen.

Überhaupt stand und steht 2016 im Zeichen von Wahlen. In Serbien hatte Vučić bereits gekonnt die guten Umfragewerte genützt und sich vorzeitig ein weiteres Mandat gesichert. Der Herbst bringt nun weitere spannende Wahlkämpfe mit sich – sei es in Kroatien, Mazedonien oder auch Montenegro. Im kleinen Adriastaat fungiert mit Đukanović seit 26 Jahren die gleiche Person als leitende Figur und als wahrer Großmeister der „starken Mann“-Spezies. Wahlen zu gewinnen ist seine Stärke, darum hatte hier u.a. auch die oppositionelle Demokratski Front mit Hilfe einer sozialen Bewegung (Sloboda traži ljude) und Protesten frühzeitig zu mobilisieren versucht. Aber auch die anderen Parteien haben mittlerweile den Wahlkampf gestartet. Den indirekten Stimmenkauf als Mittel der Überzeugung von Wählern und Wählerinnen thematisiert z.B. die Demokratska Crna Gora in ihrem Wahlkampf-Spot.

Die Herausforderung durch die „starken Männer“ am Balkan ist riesengroß. Leichte Antworten und Hilfestellungen gibt es nicht, die Problemfelder sind vielschichtig. Darum ist auch keine kurzfristige Besserung in Sicht – es wird ein langwieriger Prozess, der den einen oder anderen Rückfall verkraften wird müssen.

 

Literatur:

Aleksic, Stefan. 2016. In: Dragojlo, Sasa. Balkan Leaders Revive Nationalism for Political Advantage. Balkan Insight. Online: http://www.balkaninsight.com/en/article/balkan-leaders-revive-nationalism-for-political-advantage-09-02-2016-2. (Zugriff: 06.09.2016).

Alexander, Marcus. 2008. Democratization and Hybrid Regimes. Comparative Evidence from Southeast Europe. East European Politics and Societies, Vol. 22, Nr. 4. 928-954.

Bendel, Petra / Croissant, Aurel und Rüb, Friedbert W. (Hg.). 2002. Zwischen Demokratie und Diktatur. Zur Konzeption und Empirie demokratischer Grauzonen. Opladen.

Bieber, Florian. 2015a. Ten rules by a 21st-century Machiavelli for the Balkan Prince. LSEE Research on South Eastern Europe. Online: http://blogs.lse.ac.uk/lsee/2015/02/07/ten-rules-by-a-21st-century-machiavelli-for-the-balkan-prince/. (Zugriff: 03.09.2016)

Bieber, Florian. 2015b. New notes for the Balkan Prince and his opponents. Florian Bieber’s Notes from Syldavia. Online: https://florianbieber.org/2015/04/23/new-notes-for-the-balkan-prince-and-his-opponents/. (Zugriff: 8.9.2016).

Bieber, Florian und Ristić, Irena. 2012. Constrained democracy: The consolidation of democracy in Yugoslav Successor States. Southeastern Europe, Vol. 36, Nr. 3. 373-397.

Bogaards, Matthijs. 2009. How to classify hybrid regimes? Defective democracy and electoral authoritarianism. Democratization, Vol. 16, Nr. 2. 399-423.

Diamond, Larry J. 2002. Thinking about Hybrid Regimes. Journal of Democracy, Vol. 13, Nr. 2. 21-35.

Ernst, Andreas. 2016. Ein halbherziger Hegemon. Überlegungen zum europäischen Konfliktmanagement auf dem Balkan. In Baleva, Martina und Previšić, Boris (Hg.). “Den Balkan Gibt Es Nicht”. Erbschaften im südöstlichen Europa. Köln, Weimar, Wien. 208-220.

Fischer, Bernd. 2007. Balkan Strongmen. Dictators and Authoritarian Rulers of Southeastern Europe. London.

Merkel, Wolfgang. 1999. Systemtransformation. Eine Einführung in die Theorie und Empirie der Transformationsforschung. Opladen.

Merkel, Wolfgang et al. 2003. Defekte Demokratie. Band 1: Theorie. Wiesbaden.

Müller, Jan-Werner. 2016. Was ist Populismus? Ein Essay. Berlin.

Schedler, Andreas (Hg.). 2006. Electoral Authoritarianism. The Dynamics of Unfree Competition. Boulder, CO.

Schedler, Andres. 2013. The Politics of Uncertainty. Sustaining and Subverting Electoral Authoritarianism. (Oxford Studies in Democratisation). Oxford.

Zakaria, Fareed. ²2007. The Future of Freedom. Illiberal Democracy at Home and Abroad. New York, London.

[1] Es könnten natürlich auch „starke Frauen“ sein, nur fehlt es bisher an regionalen Beispielen.

Bildquelle: http://www.spiegel.de/fotostrecke/mazedonien-neuer-brandherd-auf-dem-balkan-fotostrecke-126728-3.html