Gegen die Missstände im Land – Warum junge Menschen in Serbien protestieren

FOMOSO hat junge Menschen in Serbien gefragt, warum sie nach den Präsidentschaftswahlen in Serbien auf die Straße gingen – ein Protest der andauert, denn die Zukunft steht auf dem Spiel. Im Folgenden schildern zwei Frauen ihre persönlichen Eindrücke von den Demonstrationen und erklären, was sie so verärgert an den Geschehnissen im eigenen Land.

 

Jelena Kodic, eine 31-jährige Jugendbetreuerin und Englischlehrerin aus Belgrad berichtet über ihren ganz persönlichen Bezug zum Protest und wie alles begann:

 

 

Am Tag nach den Wahlen bekam ich eine SMS von einer guten Freundin, die mich fragte: „Gehen wir zum Protest?“ – „Welcher Protest“, erwiderte ich, in der Hoffnung, dass es nicht dieses lächerliche Facebook-Event sei, das ich letzte Nacht gesehen hatte. Doch das war es.

Ich sagte Nein. Ich war aus einem einfachen Grund zutiefst vom Wahlergebnis enttäuscht: Es würde keine zweite Wahlrunde geben. Es gab nämlich keinen zweiten Top-Kandidaten zur Auswahl. Es gab nur einen, und dieser gewann in der ersten Runde mit einer absoluten Mehrheit von 55-57%. In dem Moment, als ich das Ergebnis in den Nachrichten sah, war ich wie paralysiert über das Ausmaß dieses kaputten Systems. All diese Geschichten über das Erpressen und Bestechen von Menschen, das Stehlen von Stimmen wurde so widerwärtig real – und noch schlimmer – nicht wieder gut zu machen. Hoffnungslos. Demonstrieren auf den Straßen wirkte so nutzlos.

Am nächsten Tag fand ich mich im Zentrum wieder. Der Nikola-Pasica-Platz war beinahe leer, ich traf mich mit einer Freundin auf einen Kaffee. Auf der anderen Seite des Platzes sah ich Studenten, die sich für die Proteste vor dem Parlament versammelten. Es war der ‚Tag der Studenten‘ in Serbien und ich überlegte für mich: Wo möchte ich sein? Einen Kaffee trinkend oder bei den Protesten? Und das sei festgehalten – Ich bin sehr skeptisch gegenüber Protesten. Sie verlaufen entweder im Nichts ohne etwas zu verändern, oder sie enden in Gewalt. Aber an diesem Tag ging es nicht um Veränderung. Es ging darum, für die richtige Sache aufzustehen. Es ging darum zu leben und sich der ständigen Demütigung zu widersetzen, dem ständigen Herumgetrampel ein Ende zu setzen. Wir gingen alle gemeinsam. Die Freundin, mit der ich mich auf einen Kaffee traf. Ihre Freunde. Und die Freundin, die mir gestern das SMS geschrieben hatte.

 

 

Milica Karic, MA-Studentin an der Universität Belgrad, beschreibt die Missstände, die sie dazu bewegen, zu den Protesten zu gehen:

 

 

Ich persönlich protestiere, weil ich nicht nur zutiefst enttäuscht bin, sondern auch verärgert über die Art und Weise, wie Vucic und seine Regierung vorgehen. Wie sie die gesamte Macht konzentrieren unter dem Vorwand einer guten Führung, wie sie die Verfassung umgehen und daran nicht gehindert werden. Jedes Mal, wenn ich mich vor einem Kiosk oder einem Fernseher befinde, fühle ich mich vor den Kopf gestoßen, weil ich weiß, dass es eigentlich keine freien Medien mehr gibt (die letzte objektive Tageszeitung Danas steht kurz vor dem Aus, weil plötzlich alle Werbeanzeigen zurückgezogen wurden). Gleichzeitig sind die Boulevard-Presse und Reality-Shows eng mit der Politik verknüpft und stehen unter direkter Kontrolle der regierenden SNS (Serbische Fortschrittspartei).

Ich beobachte die Einschränkung der Demokratie, wenn sich Vucic bei jeder öffentlichen Veranstaltung als allmächtiger Retter des Volkes präsentiert und das Land alleine führt, während die Institutionen versagen und Parteimitgliedschaft oftmals der einzige Weg zu einem sicheren Job ist.

Immer wieder betont Vucic den Aufschwung der serbischen Wirtschaft und das dafür erhaltene Lob des IMF (Internationaler Währungsfonds), aber gleichzeitig ist die ländliche Bevölkerung so benachteiligt, dass Stimmen für wenige Euros gekauft werden können. Es gibt schreckliche Berichte über ArbeiterInnen in Fabriken, die nicht nur notorisch unterbezahlt, sondern auch unmenschlich behandelt werden sollen. Außerdem ist die Jugendarbeitslosigkeit in Serbien bei über 40% und viele verlassen das Land auf der Suche nach einem besseren Leben.

Wenn das alles noch nicht genug sein sollte, glaubt mir, dann gäbe es noch viele weitere legitime Gründe, um auf die Straße zu gehen und zu protestieren – für die Wiederkehr der menschlichen Würde und gegen die diktatorischen Symptome dieser Regierung.

Titelfoto:  © Marko Šutija